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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Loireschlösser über dem Bett, auf den grünen Rasenfiächen der Schlösser. Dieses Grün war mein Urteil, ich blickte von den Knien auf und verstand, daß ich verlieren mußte. Da warf ich mich auf das Zimmer, ja, auf das Zimmer, ich riß die Schnüre von Gardinen und Vorhängen ab» ich trennte ihren Stoff von den Schienen, ich zog die Wäsche vom Bett und warf das ganze mörderische Bündel in die Wanne, ich schloß das Bad zu und brach den Schlüssel ab» als ich ihn in die Offnung des Riegels an der Außentür trieb, doch während ich mich außer Atem an den Türrahmen lehnte und das Schlachtfeld musterte, begriff ich, es half alles nichts. Fenster und Mauern konnte ich nicht beseitigen. Ich warf den Inhalt der Koffer auf den Fußboden und wühlte mich bis zu den flachen Ringen mit dem kurzen Verbindungsstück durch - Randy hatte sie mir mit einem Lächeln in Neapel gegeben» damit ich den Mörder fesseln könne» wenn ich ihn hätte. Ich hatte ihn. Zwischen den Hemden lagen dunkle Klümpchen verstreut, die Mandeln aus der aufgerissenen Tüte - ich konnte über sie nichts mehr aufschreiben, ich fürchtete, zu spät zu kommen, so warf ich nur eine Handvoll auf das Telegrammformular, schleppte den Sessel zum Heizkörper, setzte mich darin zurecht, lehnte den Rücken in das Polster, drückte die Füße auf den Boden, fesselte mich an das Heizungsrohr und wartete, bis zum Letzten gespannt, auf DAS wie auf den Start. Ich startete weder nach oben noch nach unten, sondern in die Tiefe - in heißem, rostrotem Nebel, inmitten tanzender Wände, in Fesseln geschlagen, zerrte ich wie ein Hund an der Kette und konnte nichts erreichen außer einem Bein des Bettes. Es gelang mir, es heranzuziehen, und als wollte ich Feuer ersticken, preßte ich das Gesicht in die Matratze, ich biß mich durch zur Schaumgummimasse, aber sie war porös und erstickte mich nicht, darum packte ich mich mit der freien Hand an der Kehle und drückte sie zusammen, ich stöhnte vor Verzweiflung, daß ich immer noch nicht mit mir Schluß machen konnte. Ich weiß noch, ehe ich das Bewußtsein verlor, spürte ich im Schädel Explosionen. Ich muß mit dem Kopf an die Röhren geschlagen haben. Ich erinnere mich an das kleine Aufblitzen der letzten Hoffnung, jetzt könnte es gelingen. Dann nichts mehr. Ich starb, und es kam mir gar nicht seltsam vor, daß ich darum wußte. Ich schwamm später in den schwarzen Wasserfällen unbekannter Grotten, in einem Dröhnen und Rauschen, als wäre nur mein Gehör nicht mit allem gestorben. Ich hörte Glocken läuten. Die Schwärze wurde rosa. Ich öffnete die Augen und sah ein großes, fremdes, blasses, übermenschlich ruhiges Gesicht über mich gebeugt. Es war Dr. Barths Gesicht. Ich erkannte ihn sogleich und wollte ihm das kundtun, aber ich wurde ganz banal ohnmächtig.
    Man fand mich um vier Uhr früh an den Heizkörper gefesselt auf, die Italiener im Nebenzimmer hatten das Personal alarmiert, und da ich aussah wie nach einem Tobsuchtsanfall, gab man mir eine Beruhigungsspritze, bevor man mich in ein Krankenhaus brachte. Als Barth am nächsten Tag von der Einstellung der Flüge hörte, telefonierte er mit Orly, erfuhr von meinem Los und begab sich in das Krankenhaus, wo ich immer noch bewußtlos lag. Erst nach dreißig Stunden erwachte ich richtig. Ich hatte angebrochene Rippen, eine zerbissene Zunge, einen an mehreren Stel-len genähten Kopf, ein dick geschwollenes Handgelenk vom Zerren an den Handschellen. Zum Glück war der Heizkörper, an den ich mich gefesselt hatte, aus Eisen gewesen - einer aus Plastik wäre sicher zerbrochen, und dann wäre ich aus dem Fenster gesprungen. Nichts auf der Welt hatte ich mehr gewünscht als gerade das.
    Ein bestimmter kanadischer Biologe hat festgestellt, daß Menschen, die nicht an Haarausfall leiden, in ihrem Hautgewebe dieselbe Nukleinverbindung besitzen wie die ebenfalls nicht an Haarausfall leidenden Schmalnasenaffen. Diese Substanz, Affenhormon genannt, erwies sich als wirksam bei der Bekämpfung von Haarausfall. In Europa nahm eine Schweizer Firma die Produktion dieser Hormonsalbe nach der amerikanischen Lizenz von Pfizer auf. Die Schweizer veränderten den Bau des Präparates so, daß es wirkungsvoller wurde, aber auch empfindlicher gegen Wärme, unter deren Einfluß es schnell zerfiel.
    Während der Sonneneinstrahlung auf die Haut verändert das Hormon seinen chemischen Bau und kann sich dann unter Einfluß von Ritalin in Dr. Dunants Präparat X, in ein psychisches
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