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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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ihn auf der Zunge hat, genauso fiel mir nicht ein, worauf ich wartete. Ich mischte mich unter die Menge am Haupteingang, er zog mich hinein. Wieder in der Halle, meinte ich, es sei Zeit, im Stehen etwas zu essen, doch die Würstchen waren fade wie Papier.
    Ich warf den Rest mit dem Teller in den Abfallkorb und ging in das Café unter dem aufgeplusterten Pfau. Er saß über dem Eingang, unnatürlich groß, konnte also nicht ausgestopft sein. Ich war schon einmal unter diesem Pfau gewesen, vor einer Woche mit Annabella, bevor uns ihr Vater gefunden hatte.
    Drinnen saßen ein paar Menschen. Ich setzte mich mit meinem Kaffee in eine Ecke, den Rücken zur Wand, denn an der Bar hatte ich einen Blick von hinten gespürt, einen hartnäckigen Blick, der sich nun verbarg, jetzt sah niemand zu mir her. Das hatte etwas Ostentatives an sich. Wie aus einer wichtigeren, anderen Welt drang das ferne Brausen der Motoren hierher, während ich mit dem Löffel den har-
    ten Zucker am Boden meiner Tasse zerstückelte. Nebenan auf dem Tischchen lag eine Illustrierte mit einem roten Streifen über dem schwarzen Umschlag, ich nahm an, der >Paris Match<, aber die Frau, die dort neben ihrem schmutzigen Liebhaber saß, verdeckte den Namen der Zeitschrift mit ihrer Handtasche. Absichtlich? Wer hatte mich erkannt, ein Autogrammjäger oder ein zufällig anwesender Reporter? Wie aus Versehen warf ich den kupfernen Aschenbecher hinunter. Trotz des Lärms blickte niemand sich um.
    Das bestätigte meinen Verdacht. Um nicht angesprochen zu werden, trank ich den Kaffee in einem Zuge aus und verließ die Bar. Ich fühlte mich ziemlich schlecht. Meine Beine bewegten sich wie leere Röhren, und mein Steißbein erinnerte durch Stiche an seine kürzlich gemachten Erfahrungen. Ich hatte das Herumtreiben satt. An den glitzernden und gleißenden Schaufenstern entlang ging ich auf die Rolltreppe mit den großen hellblauen Buchstaben AIR FRANCE ZU. Das war der kürzeste Weg zum Hotel. Ich hielt mich am Geländer fest, weil die Stahlkämme der Stufen glatt getreten waren und ich nichts riskieren wollte. Auf halbem Weg zum Oberstock bemerkte ich vor mir eine Frau mit einem Hund auf dem Arm. Ich zuckte zusammen, ihr offenes Haar war genauso blond wie neulich. Langsam drehte ich den Kopf über die Schulter, ich wußte schon, wer hinter mir stand. Das Gesicht wegen der Leuchtröhren bläulich, flach, mit schwarzen Gläsern. Fast brutal drängte ich mich neben der Blonden die Treppe hinauf, doch konnte ich nicht einfach so entfliehen. Ich blieb am Geländer stehen und musterte die Fahrgäste, als die Rolltreppe sie der Reihe nach auf dem Podest absetzte. Die Blonde ließ ihren Blick über mich gleiten und ging vorbei. Auf dem Arm hatte sie einen zusammengelegten Schal mit Fransen. Diese Fransen hatte ich für einen Hundeschwanz gehalten. Der Mann war beleibt und blaß. Nichts Mongolisches. Esprit de l’escalier - dachte ich, aber mit einwöchiger Verspätung? Es steht schlecht um mich, höchste Zeit, schlafen zu gehen. Unterwegs kaufte ich mir einen Schweppes, ich steckte die Flasche in die Tasche und sah erleichtert auf die Uhr in der Rezeption. Mein Zimmer wartete schon. Der Garcon trug das Gepäck vor mir her, stellte im Vorraum den kleineren Koffer auf den größeren, nahm seine fünf Francs entgegen und ging. Im Hotel herrschte eine vertrauenerwek-kende Stille, in der das Rauschen der landenden Maschinen wie ein Irrtum erklang. Gut, daß ich an den Schweppes gedacht hatte, ich wollte trinken, besaß aber keinen Flaschenöffner, darum schaute ich auf den Korridor hinaus, irgendwo konnte ein Kühlschrank stehen und darin ein Offner liegen. Die warme Farbigkeit des Läufers und der Korridorwände überraschten mich. Anerkennend dachte ich an den französischen Innenarchitekten. Ich fand einen Kühlschrank, öffnete den Schweppes und war bereits auf dem Rückweg in mein Zimmer, als Annabella um eine Korridorecke bog. Sie wirkte in ihrem dunklen Kleid größer als ich sie in Erinnerung hatte, doch kam sie mir mit derselben weißen Schleife im Haar und demselben aufmerksamen Ausdruck der dunklen Augen entgegen, während ihre Handtasche am Arm leicht schaukelte. Auch die Handtasche kannte ich, aber als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, war sie aufgetrennt. Annabella verhielt an meiner halboffenen Zimmertür, ich hatte sie beim Fortgehen nicht geschlossen.
    Annabella, was tust du hier, wollte ich überrascht und erfreut sagen, aber nur ein undeutliches »A« kam
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