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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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aus meinem Mund, denn sie betrat mit einer so auffordernden Kopfbewegung und einem so eindeutigen Blick das Zimmer, daß ich wie angewurzelt stehenblieb. Die Innentür ließ sie offen. Konsterniert dachte ich, sie wolle mir vielleicht irgendein Geheimnis, eine Sorge anvertrauen, doch ehe ich die Schwelle überschritt, hörte ich zwei deutliche
    Laute - die Schuhe fielen zu Boden - dann das Quietschen des Bettes. Mit diesem Laut in den Ohren, voll von gerechter Empörung trat ich ein und erstarrte - das Zimmer war leer.
    »Annabella!« rief ich. Das Bettzeug war unberührt. »Annabella!« Schweigen. Im Bad? Ich öffnete die Tür, es war dunkel, ich wartete auf der Schwelle, bis mit flackernder Verspätung die Leuchtröhren angingen. Die Wanne, das Bidet, die Handtücher, das Waschbecken, der Spiegel und darin mein Gesicht. Ich kehrte in das Zimmer zurück und wagte nicht mehr, etwas zu sagen. Obwohl sie keine Zeit gehabt haben konnte, sich im Schrank zu verstecken, öffnete ich ihn. Er war leer. Mit weichen Knien sank ich in den Sessel. Noch jetzt konnte ich mit größter Genauigkeit beschreiben, wie sie gegangen war, was sie angehabt hatte, ich machte mir klar, daß sie mir größer erschienen war, weil sie Halbschuhe mit hohen Absätzen getragen hatte, in Rom aber flache Sandalen. Ich erinnerte mich an ihren Augenausdruck, als sie die Schwelle überschritten hatte, wie sie mich angesehen hatte und wie ihr das Haar infolge der Kopfbewegung über die Schulter geglitten war. Ich hörte noch ihre impertinent abgestreiften Schuhe klappern und die Sprungfedem des Bettes quietschen - diese Geräusche wie heftige Stiche, und das alles war reine Einbildung? Eine Halluzination?
    Nacheinander berührte ich meine eigenen Knie, meine Brust, mein Gesicht, als müßte ich in dieser Reihenfolge die Nachforschungen betreiben, ich fuhr mit beiden Härt-den über den rauhen Sesselbezug, ich ging durch das Zimmer, schlug mit der Faust gegen die halboffene Schranktür, alles war solide, unbeweglich, tot, deutlich und dennoch ungewiß. Ich blieb vor dem Fernsehgerät stehen und erblickte in der gewölbten Mattscheibe die verkleinerte Wiederspiegelung des Bettes und zweier Mädchenschuhe, die
    nachlässig auf den Teppich geworfen waren. Voller Grauen drehte ich mich um.
    Dort war nichts. Neben dem Fernsehgerät stand ein weißes Telefon. Ich hob den Hörer ab, hörte das Signal, drehte aber keine einzige Ziffer. Was hätte ich Barth auch eigentlich sagen sollen? Daß mir im Hotel ein Mädchen erschienen sei und ich mich deshalb vor dem Alleinsein fürchtete? Ich legte den Hörer auf, nahm mein Necessaire aus dem Koffer und ging ins Bad, um plötzlich über dem Waschbecken zu erstarren. Alles, was ich tat, fand sogleich seine bekannte Entsprechung. Ich schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht wie Proque. Ich rieb mir die Schläfen mit Kölnisch Wasser ein wie Osborn. Ich kehrte ins Zimmer zurück und wußte nicht, was ich tun sollte. Nichts geschah mit mir. Das einzig Vernünftige war, sich so schnell wie möglich ins Bett zu legen und einzuschlafen. Gleichzeitig hatte ich Angst, mich auszuziehen, als wäre der Anzug die einzige Schutzschicht - das mindestens war klar. Ich bewegte mich lautlos, um das Böse nicht zu wecken, zog die Hose aus, die Schuhe, das Hemd und preßte, nachdem ich das große Licht gelöscht hatte, den Kopf in das Kissen. Die Unruhe kam jetzt aus der Umgebung, aus der verschwommenen Vermutbarkeit der Gegenstände im Dämmerlicht der Nachttischlampe. Ich schaltete sie aus. Erstarrung überfiel mich. Ich befahl mir langsame, gleichmäßige Atemzüge. Jemand klopfte an die Tür. Ich zuckte nicht einmal Er klopfte von neuem, öffnete dann die Tür und trat in den Vorraum. Die dunkle Silhouette hob sich vom Hintergrund des hellen Korridors ab und näherte sich dem Bett. »Monsieur…«
    Ich gab keinen Laut von mir. Er stand neben mir, legte etwas auf den Tisch und ging hinaus. Das Schloß klickte, ich blieb allein. Ich schleppte mich aus dem Bett, eher zerschlagen als betäubt, und machte die Wandlampe an.
    • Auf dem Tisch lag ein Telegramm. Klopfenden Herzens, auf unsicheren Beinen nahm ich es in die Hand. Es war an mich adressiert, ins Hotel >Air France<. Ich warf einen Blick auf die Unterschrift und schauderte. Ich preßte die Lider zu, öffnete sie und las zum zweiten Mal den Namen des Menschen, der lange genug unter der Erde lag, um verfault zu sein.
    WARTE ROM HILTON ZIMMER 3 03 ADAMS
    Ich las den Text mindestens
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