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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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vorzeitig kahl geworden war, um die Dreißig, der hatte keine so weit fortgeschrittenen rheumatischen Veränderungen, daß eine Badekur erforderlich wurde. Die Drohung hing also nur über denen, die in den Schattenstreifen eingetreten waren und in ihm verharrten. Je genauer man jetzt die Tatsachen betrachtete, desto offensichtlicher wurde ihre Zusammengehörigkeit. Die Vergiftungen traten nicht au-Berhalb des Zeitraums der Grasblüte auf, denn die Fahrer nahmen sonst kein Plimasin, und wer schweres, zum Liegen zwingendes Asthma hatte, saß nicht am Steuer, brauchte also seinerseits kein Präparat, das für Fahrer bestimmt ist.
    Barth besuchte mich im Krankenhaus und bewies mir so viel Herzlichkeit, daß ich mich vor der Abreise in die Staaten zu einem Abschiedsbesuch bei ihm aufmachte. Pierre lauerte an der Treppe, versteckte sich aber sofort bei meinem Anblick. Ich verstand, worum es ging, und versicherte ihm, daß ich an den Helm dächte. Bei Barth war Dr. Saussure, nicht im Gehrock, aber in einem Hemd mit jabotartigen Manschetten. Statt des Taschenrechners trug er eine Uhr um den Hals. Er sah die Bücher in der Bibliothek durch, und Barth erzählte mir etwas sehr Lustiges: Der Versuch, den Computer bei einer Untersuchung anzuwenden, sei geradezu vollkommen gelungen, obwohl der Computer, nicht programmiert und nicht in Gang gesetzt, nichts bewirkt hätte. Doch wäre ich nicht gerade mit diesem Plan nach Paris gekommen, so hätte ich nicht in seinem Haus gewohnt, hätte nicht die Sympathie seiner Großmutter erworben, der kleine Pierre hätte mir nicht nach dem Fall von der Treppe mit Schwefelblume geholfen - mit einem Wort, der Anteil des Computers an der Lösung des Rätsels ist unbezweifelbar, wenn auch rein ideell. Lachend bemerkte ich, das Zusammentreffen zufälliger Geschehnisse, das mich mitten in das Zentrum des Geheimnisses gelenkt hatte, komme mir jetzt erstaunlicher vor als das Geheimnis selbst.
    »Sie begehen den Fehler, egozentrisch zu sein!« sagte Saussure und wandte sich am Bücherschrank um. »Diese Serie ist nicht so sehr ein Kennzeichen der Gegenwart als vielmehr ein Vorzeichen der Zukunft. Ihre Ankündigung, heute noch unverständlich…”
    »Aber Sie verstehen sie?«
    »Ich ahne ihre Hinweise. Die Menschheit hat sich so vermehrt und verdichtet, daß atomare Gesetze sie zu lenken beginnen. Jedes Gasatom bewegt sich chaotisch, aber eben dieses Chaos gebiert die Ordnung als Stabilität des Drucks, der Temperatur, des spezifischen Gewichts und so weiter.
    Ihr Zufallserfolg wirkt paradox - in einer langen Reihe ungewöhnlicher Koinzidenzen. Aber das kommt nur Ihnen so vor. Sie werden sagen: Es hat noch nicht genügt, bei Barth die Treppe hinunterzufallen, Schwefel statt Tabak zu schnupfen, nötig war auch noch Ihre durch Proques Geschichte veranlaßte Erkundung auf der Rue Amélie, das Niesen vor dem Gewitter, der Mandelkauf für die Kinder, die Einstellung der Flüge nach Rom, das überfüllte Hotel, der Friseur und wohl auch die Tatsache, daß er Gascogner war- damit die Kettenreaktion in Gang kam.«
    »Ach, schlimmer noch«, warf ich ein. »Hätte mein Anteil an der Befreiung Frankreichs sich nicht auf den Bruch meines Steißbeins beschränkt, hätte sich diese Verletzung auf der Treppe in Rom wohl kaum erneuert, dann wäre ich auch hier heil davongekommen. Wäre ich nicht unmittelbar vor diesem Attentäter auf die Treppe in Rom gelangt, so wäre mein Bild nicht im >Paris Match< erschienen, und ohne diesen Antrieb wäre ich, anstatt um ein Zimmer im Hotel der Air France zu kämpfen, zur Übernachtung nach Paris gefahren, und wieder wäre alles vorbeigewesen. Aber schon die Wahrscheinlichkeit meiner Anwesenheit bei dem Attentat war von vornherein astronomisch gering.

Ich hätte mit einer anderen Maschine fliegen, ich hätte auf einer anderen Stufe stehen können… Und was erst, da ja alles davor und danach ebenfalls aus solchen astronomischen Unwahrscheinlichkeiten besteht! Hätte ich vom Fall Proque nicht erfahren, so hätte ich mich doch nicht nach Rom aufgemacht, ausgerechnet als die Flüge eingestellt wurden, und auch das war ja das reinste Zusammentreffen von Zufällen.«
    »Daß Sie den Fall Proque kennenlernten? Das glaube ich nicht. Wir sprachen gerade darüber, ehe Sie kamen. Sie haben den Fall kennengelernt dank den Intrigen zwischen Sûreté und Défense, und dazu ist es durch politische Streitigkeiten gekommen. Jemand wünschte die Kompro-mittierung eines bestimmten Militärs, der
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