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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
Autoren: Ha-Joon Chang
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Einführung

    Die globale Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Zwar haben finanz- und geldwirtschaftliche Maßnahmen nie dagewesenen Ausmaßes im Zuge der Finanzkrise 2008 den völligen Zusammenbruch der globalen Wirtschaft verhindert, doch diese Krise ist nach der Großen Depression die zweitschwerste der Geschichte. Während ich dies schreibe (März 2010), hört man zwar hier und da, die Rezession sei vorüber, doch eine nachhaltige Erholung ist keineswegs sicher. Da Finanzmarktreformen bislang ausblieben, haben sich dank der nachlässigen Geld- und Finanzpolitik neue Spekulationsblasen gebildet, während die Realwirtschaft unter Geldmangel leidet. Wenn diese Blasen platzen, könnte die Weltwirtschaft in die nächste Rezession stürzen (»Double-Dip«). Aber auch wenn die Erholung anhält, werden die Folgen der Krise noch lange zu spüren sein. Es kann Jahre dauern, bis Wirtschaft und private Haushalte ihre Finanzen neu geordnet haben. Die gewaltigen Haushaltsdefizite, die durch die Krise entstanden sind, werden die Staaten dazu zwingen, öffentliche Investitionen und Sozialausgaben umfänglich zu reduzieren. Das wird das Wirtschaftswachstum, den Arbeitsmarkt und die soziale Stabilität – womöglich auf Jahrzehnte – negativ beeinflussen. Viele Menschen, die in der Krise Arbeit und Haus verloren haben, werden vielleicht nie wieder am wirtschaftlichen Leben teilnehmen.
    Das sind erschreckende Aussichten.
    Ausgelöst wurde diese Katastrophe in letzter Konsequenz von der Ideologie des freien Marktes, die seit den Achtzigerjahren die Welt regiert. Wir hören, dass die Märkte, wenn man sie nur in Ruhe lässt, die effizientesten und gerechtesten Ergebnisse herbeiführen werden. Effizient, weil wir selbst am besten wissen, wie wir die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen, und gerecht, weil der Wettbewerb an den Märkten sicherstellt, dass jeder Mensch seiner Produktivität entsprechend entlohnt wird. Unternehmen, so heißt es, sollten maximale Freiheit erhalten. Da sie nahe am Schauplatz des Geschehens sind, wissen sie am ehesten, was am besten fürs Geschäft ist. Wenn man sie daher gewähren lässt, wird der Wohlstand aufs Maximum anwachsen und auch dem Rest der Gesellschaft zugute kommen. Staatliche Intervention dagegen würde die Effizienz der Märkte nur bremsen, denn häufig zielten solche Maßnahmen darauf ab, die Maximierung des Wohlstands aus fehlgeleiteten egalitären Gründen zu beschränken. Und auch, wenn das nicht zutreffe, könnten Staaten die Resultate der Märkte nicht verbessern, da sie weder die notwendigen Einblicke noch die Anreize haben, gute Geschäftsentscheidungen zu treffen. Kurz: Man rät uns, den Märkten voll und ganz zu vertrauen und ihnen nicht im Weg zu stehen.
    Die meisten Länder sind diesem Ratschlag gefolgt und haben in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Politik der Marktliberalisierung betrieben: Privatisierung staatlicher Industrie- und Finanzunternehmen, Deregulierung des Finanzwesens und der Industrie, Liberalisierung des internationalen Handels und Investments, Senkung der Einkommensteuern und Sozialausgaben. Diese Politik, so räumen ihre Verfechter ein, habe zwar vorübergehend auch negative Auswirkungen gehabt, etwa eine wachsende Ungleichheit, doch sie werde am Ende allen nutzen, weil sie eine dynamischere und reichere Gesellschaft hervorbringe. Die anschwellende Flut lässt alle Boote steigen, so das passende Bild.
    Das Ergebnis dieser Politik war das genaue Gegenteil dessen, was man uns versprach. Vergessen wir für den Augenblick die Finanzkrise, die der Welt noch Jahrzehnte zu schaffen machen wird. Schon vorher und von den meisten Menschen unbemerkt verlangsamte die Liberalisierungspolitik in den meisten Ländern das Wachstum, erhöhte die Ungleichheit und verringerte die Stabilität. In vielen reichen Ländern wurden diese Probleme durch eine gigantische Ausweitung der Kreditaufnahmen verschleiert. Dass in den USA seit den Siebzigerjahren die Löhne stagnieren und die Arbeitszeit ständig anstieg, wurde durch eine unbesonnene Steigerung des kreditfinanzierten Konsums kaschiert. Waren in den reichen Ländern die Probleme schon schlimm genug, so spitzte sich in der Dritten Welt die Lage noch mehr zu. Der Lebensstandard in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara stagniert seit drei Jahrzehnten, während das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens in Lateinamerika um zwei Drittel sank. Einige Volkswirtschaften, etwa China und Indien, wuchsen in dieser Zeit
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