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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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plötzlich begriff ich, daß es auch nicht eingreifen würde. Sie waren schreckliche schwarze Götter, Titanen, deren Kraft und Bosheit die Vorstellungskraft eines Menschen überstiegen, aber das Kämpfen und Töten war nicht ihr Geschäft. Es gab andere, die dies für sie taten. Das Ungeheuer lag einfach da und sah zu, schweigend und lauernd, so, wie sie seit Millionen Jahren schweigend und lauernd hinter den Mauern ihres finsteren Reiches gelegen und gewartet hatten.
    Erickson lachte schrill, bäumte sich auf und riß den Dolch aus dem Gürtel. Setchatuatuans entsetzter Warnruf wäre zu spät gekommen, so schnell waren seine Bewegungen plötzlich. Aber ich hatte keine Warnung gebraucht.
    Ich erwartete den Angriff beinahe ruhig. Erst im allerletz-ten Moment drehte ich mich zur Seite, tat so, als wollte ich dem Dolchstoß in gerader Linie ausweichen und warf mich mit einer schier unmöglichen Drehung noch einmal herum, als die Messerklinge meiner Bewegung zu folgen versuchte.
    Erickson keuchte verblüfft, als seine Waffe ins Leere stieß.
    Dann wurde ein Schmerzenslaut daraus, als ich seinen Arm packte und verdrehte, so schnell und hart, daß das Messer seiner Hand entglitt. Ich hätte ihm den Arm brechen können in diesem Moment, aber ich tat es nicht, sondern beschränkte mich darauf, ihn blitzschnell zu packen und herumzureißen. Erickson wehrte sich mit verzweifelter Kraft, aber er hatte keine Chance. Er war viel stärker als ich, aber er kämpfte mit der ungelenken Wut eines Besessenen, während ich mich einfach darauf beschränkte, ihn zu halten.
    Und ich spürte, wie seine Kraft von Sekunde zu Sekunde mehr nachließ. Die unsichtbare Nabelschnur, die ihn mit dem schwarzen Koloß im Wasser verband, begann zu zerreißen.
    Aus Ericksons wütenden Schreien wurde ein Wimmern.
    »Töte mich!« keuchte er. »Du hast mich besiegt, also töte mich! Gib mir einen ehrenvollen Tod!«
    Und in diesem Moment erwachte der Koloß aus seiner Starre.
    Ich spürte die Bewegung mehr, als ich sie sah: ein schweres, machtvolles Erzittern des Wassers, das rasch auf den Boden, dann die gesamte Grotte übergriff. Mit einem Schrek-kensschrei fuhr ich herum, ließ Erickson los und prallte zurück, als ich sah, wie der Koloß auf mich zuglitt.
    Am Ufer gellten Schreie auf, Schreie ungläubigen Entsetzens und schriller Panik, als gewahrten die Männer dort das gräßliche Wesen erst jetzt, und mit einemmal war die Grotte erfüllt vom Lärm flüchtender Menschen.
    Ich floh nicht. Ich konnte es nicht. Der Anblick des Kolos-ses lähmte mich, ließ mich innerlich zu Eis erstarren.
    Ich war dem Ungeheuer nahe, so nahe, wie ihm vielleicht niemals zuvor ein lebender Mensch gewesen war, und diese Nähe allein erschlug alles, was an Wärme und menschlichen Gefühlen in meiner Seele lebte. Ich hatte nicht einmal Angst.
    Ganz langsam kam der Titan näher. Seine riesigen gelben Augen fixierten mich mit einer Ausdruckslosigkeit und Kälte, die schlimmer waren als der Haß in Ericksons Augen oder die stumme Bosheit in denen der Froschkreaturen. Eine Woge entsetzlichen Gestankes hüllte mich ein und nahm mir den Atem.
    Ein einzelner, schleimtriefender Tentakel erhob sich zitternd über das Wasser, glitt wie eine suchende blinde Schlange durch die Luft, tastete hierhin und dorthin, näherte sich meinem Gesicht …
    Aber er berührte mich nicht.
    Statt dessen glitt er plötzlich zur Seite, senkte sich mit einer fast zärtlichen Bewegung auf Erickson herab und umschlang ihn.
    Die Augen des Wikingerfürsten wurden dunkel vor Entsetzen, als er begriff, daß nun er es war, der verraten wurde. Er hatte versagt, und in diesem letzten Moment ahnte er wohl, wie die Strafe dafür aussehen mochte und was es bedeutete, in den Dienst eines Herren zu treten, dem das Wort Vergeben fremd war.
    Aber über seine Lippen kam kein Laut. Gelähmt und starr vor Entsetzen stand er da, bis der Tentakel ihn in die Tiefe zerrte. Er machte nicht einmal einen Versuch, sich zu wehren.
    So langsam, wie er gekommen war, glitt der schwarze Riese wieder in die lichtlosen Tiefen des Sees zurück.

    Die Sonne stand wie ein loderndes rotes Auge über dem Meer, als wir die Stadt verließen und durch den Tunnel in der Mauer ins Freie krochen.
    Wir waren noch acht, Setchatuatuan, zwei seiner Krieger und ich selbst und vier Wikinger; die anderen waren tot oder in Panik geflohen.
    Die gräßlichen Fischkreaturen, die Erickson aus der Welt der Großen Alten herbeigerufen hatte, hatten gnadenlos
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