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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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in Vegas oder Beverly Hills. Pieter blieb lieber in Hamburg. Hier war er Gott, Jesus und Heiliger Geist in Personalunion. Hier fiel auch sein eher schlichtes Englisch nicht weiter ins Gewicht. Obwohl, immerhin reichten seine fremdsprachlichen Fähigkeiten aus, um unvergessliche Gassenhauer wie »You’re my blood, you’re my bone« zu texten. Gassenhauer, meine Güte – das sagt heute kein Mensch mehr, rüffelte sich Pieter innerlich. Voll der Burner, seine Mucke! Schon besser. Er war zwar bereits ein Stück über 50, aber die Bücher mit seinen härtesten Sprüchen aus der TV-Show kauften sogar Teenager. Vor allem Teenager! Sie liebten Pieters Hammersprüche. Hammer-Pete. Pete West, sein Künstlername. Klang natürlich besser als Pieter Westheim. Mit »West« assoziierte man automatisch Freiheit, Abenteuer und Popkultur – ein willkommener Synergieeffekt. Für Synergien war Pieter grundsätzlich zu haben. Wem immer er geschäftlich die Hand reichte, am Ende klebte das Geld sowieso an seinen Fingern. Außerdem sah er noch lange nicht wie 50 aus. Schon gar nicht in der gedimmten Betriebsbeleuchtung des »Hell on Earth«.
    Pete West, der Pop-o-nator.
    Der Satansbraten hieß Nastja. Kurzform von Anastasia. Die ersten Abende widerstand sie Pieters Anmache heldenhaft. Gäste des Hauses wären angeblich tabu! Also führte Pieter mit dem Chef des Hauses ein kleines Gespräch unter Männern, und Rufus, der alte Schwerenöter, sah natürlich ein, dass einem prominenten Gast gewisse Privilegien zustünden. Wenn Nastja an ihrem freien Abend herkäme und sich abschleppen ließe, würde Rufus nichts sagen. Und Nastja hatte Pieter versprochen, heute zu kommen – sanft errötend und mit einem Augenaufschlag, der Pieters Knie noch bei der bloßen Erinnerung daran wackeln ließ…
    In seliger Vorfreude sog er selbstvergessen an seinem Diabolo, bis der Pegel im Glas auf Ebbe stand. Mit knappem Wink signalisierte Pieter den Getränkenotstand einem diensthabenden Satansbraten, ohne den als Höllenschlund aufgetakelten Eingang des Clubs aus den Augen zu lassen. Gerade trat jemand ein – leider nicht Nastja, sondern ein Kerl. Anfang Zwanzig, untersetzt, muskulös, auf dem kantigen Schädel eine hochgebürstete Brikettfrisur und im Killerblick die Warnung: »MACH MICH NICHT AN!« Dreimal unterstrichen. Eher ein Typ für die Russendisko, schätzte Pieter. Aber wahrscheinlich war er auch nicht rein zum Vergnügen hier, sondern hatte irgendetwas im Club zu tun. Pieter kam schon seit Ewigkeiten hierher und erinnerte sich, den bulligen Jungstier schon ein paar Mal zusammen mit Rufus gesehen zu haben. Auch jetzt ignorierte Brikettkopf das muntere Treiben auf dem Dancefloor und wandte sich gleich dem Seitenflur zu, an dessen Ende der Geschäftsführer residierte. Doch bevor er in die hinteren Räumlichkeiten abtauchte, hielt er inne – denn jetzt trat endlich das Mädchen durch den Höllenschlund, das Pieter schon den ganzen Abend sehnlichst erwartete!
    Nastja trug ein trägerloses Top über knapp geschnittenen Jeans, aber sie hätte auch im Gelben Sack auflaufen können – ihre sinnliche Ausstrahlung schnürte Pieter fast die Luft ab. Zurückhaltend, fast schüchtern ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. Hier bin ich! schrie es in Pieter, und aufgeregt sprang er auf und winkte ihr zu. Bleib cool, Mann, rief er sich innerlich zur Ordnung und zwang sich zurück auf den Stuhl. Bist ja wie mit 16! Zum Glück hatte ihn Nastja noch nicht gesehen. Dafür entdeckte sie den Brikettkopf, lächelte verzückt, trat zu ihm und küsste ihn auf die Wange. Pieters Faust krallte sich ums leere Diabolo-Glas. Er musste sich schwer beherrschen, um es nicht quer durch den Saal voll in die Brikettfresse zu feuern. Mein Gott, schlimmer als mit Sechzehn!
    Nastja und das Brikett wechselten ein paar schnelle Worte, dann verschwand der kantige Kerl im Seitenflur, während das Mädchen wieder in die Runde peilte. Endlich entdeckte sie Pieter Westheim, dem man gerade rechtzeitig den nächsten Diabolo servierte. Ein tiefer Zug von dem Höllengesöff, und seine Nervenenden entkrampften sich langsam. Schön locker bleiben, Pete West. Du bist der Pop-o-nator. Er grinste Nastja entgegen und wies einladend auf den freien Stuhl neben sich.
    »Ganz schön spät.«
    Sie setzte sich, schüchtern lächelnd. »Ich wusste nicht, ob ich kommen sollte.«
    Das »Ich« kam als »Iiiech«, und ihr langgezogenes »ooo« in »kommen« war schon mal ein Orgasmus an sich. Pieters
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