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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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bergab, die Rikscha bekam mehr Fahrt, als Max je für möglich gehalten hätte. Die Treppe am Ende des Stegs nahmen sie wie den Sprungtisch einer Skifliegerschanze. Knapp vor der Pontonkante knallte die Rikscha hart auf, hielt sich wundersam auf allen Rädern und raste unwiderstehlich auf das im schäumenden Kielwasser einer eben ablegenden Barkasse gefährlich aufbrodelnde Hafenwasser zu. Nur noch ein kurzer Eisenpoller zwischen Max und dem nassen Absturz! Und vom Poller verlief eine Haltetrosse straff hinüber zum Bug einer festgemachten Barkasse…
    Gedankenschnell riss Max das Vorderrad hoch. Wie ein bockender Gaul schob sich die Rikscha auf den Poller, während Max geistesgegenwärtig die Haltetrosse zwischen Gabel und Rahmen einklemmte. Mit durchschlagendem Effekt: Max flog auf der gewaltsam vollgebremsten Rikscha aus dem Sattel und knallte mit den kurzen Rippen voll auf den Lenker. Er kam ins Rutschen, würde unweigerlich fallen… Da knallte etwas Schweres, Weiches auf seinen Rücken.
    Das Mädchen.
    Ihr Gewicht presste ihn auf den Lenker und hielt seinen Blick nach unten fixiert. Dort gurgelte trübe die Elbe.
    »Tschuldigung«, hörte er sie murmeln. Immerhin lebte sie also. Bei sich selbst war Max da nicht so sicher. Aber dann atmete er durch und klammerte sich wieder an die Lenkstange. Sein Fahrgast hatte sich vorsichtig von ihm herunter und zurück in den fest auf den Eisenpoller genagelten Passagiersitz der Rikscha geschoben. Max ignorierte seine Schmerzen, kletterte über die Trosse zurück auf den Ponton und sah zu dem Mädchen hinauf, als wäre nichts passiert.
    »Sankt Pauli Landungsbrücken. Punktlandung.« Er reichte ihr seine helfende Hand.
    Sie stieg aus der gepfählten Rikscha wie eine Königin vom Thron. Hinter ihnen sammelte sich ein Haufen staunender Teenager.
    »Elke? Hey Leute, das ist Elke!«
    Das Mädchen ignorierte die feixende Meute. »Was bin ich dir schuldig?«
    »Bist du noch sauer?« fragte Max zurück. In Elkes grünen Augen blitzte es amüsiert auf, und um die Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln, als sie zur Antwort kurz den Kopf schüttelte.
    »Dann«, grinste Max, »war es den Spaß wert.«

2.
    »Kette kaputt? Schaltung? Bremse? Verdammt, Max!« Oleg verstummte fassungslos.
    »Hamid kriegt das hin! Nur ein bisschen schweißen.«
    »Das auch noch? Und wer zahlt das?«
    »Einen Fünfziger mussten Mo und Kuli abdrücken! Den Rest mach’ ich schon.«
    »Na toll. Ich wollte heute noch fahren! Wann ist die Kiste fertig?«
    »Morgen.«
    Oleg schnappte nach Luft – dann machte er wortlos kehrt, eilte aus der Küche und verschwand türenknallend in seinem Zimmer.
    »Und mir geht es gut! Keine Knochenbrüche! Passagier gesund! Danke für die Nachfrage!« brüllte Max in den leeren Flur. Allmählich ging ihm Olegs Gezeter auf die Nerven. »Außerdem wolltest du dich schon gestern um die Bremsen kümmern, vergessen? Entspann dich mal, Alter!«
    Oleg tauchte wieder auf, er hatte seine Jacke übergezogen, aber immer noch keinen Dampf verloren. »Entspannen? Ich brauch’ die Kohle!«
    »Kannst meine Schicht morgen haben.«
    »Wie gnädig. Du willst doch sowieso zu dieser dämlichen Uni-Veranstaltung. Buddeln im Matsch!«
    »Was dagegen?«
    Sie standen sich nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt gegenüber – wenn auch nicht auf Augenhöhe. Das ging schon deshalb nicht, weil Oleg zwar – wie Max – gut durchtrainiert, aber mindestens einen Kopf kleiner war. Daran änderte auch die hochtoupierte Brikettfrisur nichts, die ein bisschen mehr laufende Höhe simulieren sollte. Figur wie ein Vierkantschlüssel, bloß eben leider nicht der Größte im Kasten. Normalerweise überspielte Oleg die fehlenden Zentimeter mit Witz, Charme und Originalität. Mit Aggres­sivität klappte es nicht so gut. Nur einen Moment lang fand Max seinen Freund lächerlich, aber dieser Augenblick genügte Oleg, die aufflackernde Verachtung im Blick des anderen zu bemerken. Er wandte sich wortlos ab. Fast tat Max die eigene Reaktion leid.
    Fast.
    »Sprich dich ruhig aus.«
    Gereizt nahm Oleg ihn wieder ins Visier. »Ich bin ein Versager – das glaubst du doch! Weil du mich auf der Schule durchgeschleppt hast. Weil ich die Uni schon nach einem Monat Scheiße fand. Weil ich schon wieder pleite bin…«
    »Mach dich nicht lächerlich«, winkte Max ab, aufreizend lässig.
    »Doch«, fauchte Oleg, »ich mache mich manchmal lächerlich! Aber du bist lächerlich. Du mit deinem Durchschnittsgewurschtel! Immer
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