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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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und ihre Fahrgäste kriegten sich kaum noch ein. Kuli wischte sich die Tränen aus der Faltenfresse und ermahnte sich zu gespieltem Ernst.
    »Na ja – immerhin haben wir die doppelte Anzahl Passagiere…«
    »Und die haben auch noch jede Menge Gepäck«, gab Mo mühsam beherrscht zu bedenken. »Stimmt’s, Mädels?«
    »Und ob!« juchzte Barbie, zog ein hauchdünnes Nichts aus zarter Spitze aus einer Tüte und schwenkte das Teil über dem Kopf. Kuli simulierte prompt einen Spontanzusammenbruch, Mo klammerte sich übertrieben am Lenker fest und ließ hysterisch die Augen rollen. »Jaa, Baby, zeig es mir! Binde es an einen Stock und halte es mir vor die Augen – dann breche ich alle Geschwindigkeitsrekorde!«
    »Dann donnerst du höchstens gegen einen Laternenpfahl.« kommentierte Max das wilde Treiben trocken. »Geht’s jetzt endlich los oder gebt ihr schon vorher auf?«
    »Bitte«, jappte Mo nach Luft und winkte generös, »zieh Leine! Wir sehen uns spätestens nach einer Minute – bevor du uns dann aus den Augen verlierst.«
    »Lass es«, kam es schwach von hinten, aber Max saß schon im Sattel und legte sich mächtig in die Pedale. Die gelbe Rikscha setzte sich in Bewegung und bog ein paar Augenblicke später um die Ecke.
    Max legte knackend auf der hakeligen, weil nachträglich installierten Gangschaltung eine höhere Übersetzung ein und trieb sein Gefährt wuchtig über die Große Bleichen voran. Er fand schnell seinen Rhythmus und spürte, wie sich seine Muskeln gegen die Last stemmten, wie die Lunge gierig regenfrische Luft inhalierte und der Kreislauf auf Touren kam. Die reine Wonne. Noch vor zwei Jahren, als zwanzigjähriger Erstsemesterstudent an der Hamburger Uni, hätte er bei derartiger Anstrengung nach spätestens hundert Metern kollabiert. 90 Kilo, verteilt auf 180 Zentimeter Körpergröße. Sport nur im Fernsehen und fataler Hang zu Fast Food. Dann kam Oleg auf die Idee, statt des Zimmers im Studentenwohnheim eine eigene Wohnung zu mieten. Wie man die finanzieren sollte, wusste der umtriebige Freund natürlich auch: Wenn beide jobbten, müsste es klappen! Und zufällig kannte Oleg auch zwei freie Stellen: Als Rikschafahrer bei City-Cycle.
    Max hatte sich von Oleg bequatschen lassen. Ausnahmsweise nicht zu seinem Schaden, gestand er sich ein, während er jetzt am Ohnsorg-Theater vorbeiflog und sich mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel davon überzeugte, dass Mo und Kuli immer noch nicht hinter ihm auftauchten. Vier Semester und zwei lange City-Cycle-Sommer später brachte er drahtige 75 Kilo auf die Waage und fühlte sich energiegeladener als ein Duracell-Häschen. Nun allerdings radelte er nicht mehr für City-Cycle, sondern auf eigene Rechnung. Auf einem Stahlrohrkoloss mit nicht minder kolossaler Zuladung. Aber die Erfahrungen der beiden letzten Jahre hatten Max gelehrt, Herausforderungen anzunehmen.
    Die beiden City-Cycle-Rikschas erschienen als weiße Punkte im Rückspiegel. Mo und Kuli pflügten unwiderstehlich heran. Bei der Ampel vor dem Bleichenhof hatte Max noch Glück, vor der großen Kreuzung am Axel-Springer-Platz musste er passen – Ampel auf rot und zuviel Verkehr für einen kleinen Regelverstoß.
    »Ich steig aus!« kam es von hinten, kaum dass die Räder still standen. Max wandte sich im Sattel um. In ihren grünen Augen stand jetzt mehr Trotz als Verzweiflung. »Es reicht ja wohl, dass ich mich lächerlich mache.«
    »Wenn hier jemand lächerlich ist, dann diese dummen Hühner, die nicht mal so tun, als wären sie mit dir befreundet! Außerdem habe ich gewettet – nicht du!«
    »Dann ist es ja nicht mein Problem.«
    Sie machte Anstalten, von der Bank zu rutschen – Max hielt sie zurück.
    »Wenn sich jeder nur um sein Problem kümmerte, stündest du immer noch vorm Hanseviertel.«
    »Okay – ich bin ein Problem. Auf dein Mitleid kann ich verzichten.«
    »Von Mitleid kann keine Rede sein.«
    »Sondern?«
    »Ich bin sauer auf die verdammten Arschlöcher da hinten!« brüllte Max so laut los, dass sich Schlabberbluse unwillkürlich rücklings in die Rückenlehne presste. »Du etwa nicht?«
    »Doch«, kam es zurück. Darin lag fast so etwas wie ein leises Lachen. Max blieb kaum Zeit für ein aufmunterndes Augenzwinkern – da schaltete die Ampel auf Grün. Bevor er sein behäbiges Gefährt halbwegs in Fahrt zu bringen vermochte, rauschten links und rechts die schneeweißen Designerrikschas vorbei. Das schrille, triumphierende Gejohle der Barbie-Bagage übertönte sogar den
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