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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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1.
    »Guck dir die Schweißnaht an. Totaler Schrott!« Kulis Finger strich missbilligend über die Metallwucherung zwischen Rahmen und Fahrgastbank. Mo ließ vergnügt die weißen Zähne blitzen, drückte seine Übergrößenpranke aufs Pedal und testete das Tretlager. Es knackte vernehmlich.
    »Flossen weg!«
    Mo hob entschuldigend die Hände und trat feixend einen Schritt zurück. »Auf dem quietschgelben Teil siehst du aus wie die Christel von der Post!«
    Insgeheim gab Max Harder ihm Recht. Er hatte seinen Freund und Wohngenossen Oleg selbst für verrückt erklärt, als der plötzlich mit diesem Bastard von Fahrradrikscha vor der Tür stand – ein aus China importiertes Gebrauchtbilligteil mit barocken Proportionen, fossiler Technik und vermutlich mehr Vorbesitzern als ein Wanderpokal, erstanden zum Alles-muss-raus-Tarif über ein obskures Internetportal. Alles in allem ein typisches Oleg-Geschäft: Volldampf voraus in die Marktlücke, die er erst als Multimillionär verlassen würde! Leider entpuppten sich diese Marktlücken stets als Lücken, die der Markt eben deshalb offen gelassen hatte, weil sich keine Sau dafür interessierte. Max kannte Oleg seit dem Kindergarten und hatte sich längst daran gewöhnt. Die Rikscha allerdings war schon eine echte Glanzleistung.
    »Ist doch mal was anderes als dieses langweilige High-TechZeug.« Max deutete auf die beiden tropfenförmigen Designer-Fahrrad­rikschas, die wie eineiige Zwillinge einträchtig nebeneinander vor dem Entree des Hanseviertels parkten. »Ihr seid bloß neidisch, weil wir jetzt auf eigene Faust verdienen und nicht mehr als Pedalsklaven für City-Cycle schuften!«
    Kulis skeptisches Grinsen schlug mehr Falten als eine Boxerschnauze. »Man wird ja sehen, wo die Leute lieber einsteigen – bei uns oder in diesen Chinaböller!«
    Max nahm die Herausforderung lässig an. »Kaffee und eine Runde Hotdogs?«
    »Hart, härter – Harder!« feixte Mo und reckte aufreizend seine massige Zwei-Meter-Athletengestalt, was ihm prompt Schmachtblicke flanierender Hanseatinnen eintrug. »Welch unerschütterlicher Optimismus! Was hast du nur, was wir nicht haben?«
    Max Harder ließ sich entspannt auf die Rückbank seiner Rikscha sinken.
    »Spaß?«
    Hamburg im April ist ein feuchtes Versprechen auf den Frühling, der bald kommt. Vielleicht. Oder auch nicht. Die vier minderjährigen Grazien, die eben ihre Designerlabel-Beutetüten aus der noblen Einkaufspassage schleppten, trugen jedenfalls unerschrocken Bauchfrei. Nur die Fünfte im Bunde präsentierte sich in züchtiger Schlabberbluse – ausgerechnet ihr Bauch drängte derart durchs Bündchen, dass er förmlich nach Freiheit schrie. Sie trottete still hinter den anderen her, die schrill und atemlos ihren Konsumrausch ausschwitzten.
    »…Schlitz bis hier, aber in 36 gab’s das nicht…«
    »…trägerlos, total süüüß…«
    »…solche Absätze, einfach geil…«
    Das erste Mädchen trat jetzt aus dem Schutz des Vordaches, machte einen Schritt zurück und starrte angewidert gen Himmel. »Scheiße! Hat jemand einen Schirm?«
    Kollektives Kopfschütteln.
    »Ich hab einen«, meldete sich Schlabberbluse zaghaft zu Wort.
    »Bei dir passt keiner mit drunter!« schmetterte sie die andere mit einem gnadenlos abschätzenden Blick aus barbieblauen Augen ab.
    »Da stehen Fahrradrikschas!« Eines der Mädchen wies unternehmungslustig auf die parkenden City-Cycles und Max Harders Gelbes Ungetüm.
    »Wollen wir?«
    »Kundschaft!« verkündete Kuli mit Blick auf die hektisch winkende Girliegang. Max hatte das Grüppchen schon bemerkt und entfaltete die kapuzenartige Markise über der Rikschabank. Mo grinste breit herüber. »Genug für alle! Da müssen wir unsere Wette wohl vertagen…«
    »Hast eben noch mal Glück gehabt!«
    Zu dritt schlenderten sie auf die Mädchen zu, die im Entree des Hanseviertels die Ankunft der Rikschamänner hysterisch gackernd abwarteten. Vier Kichererbsen beim Geldverschleudern, taxierte Max. Flirrender Cheerleadersexappeal, maßlose Ansprüche und den Spiegel als beste Freundin. Die Fünfte wirkte neben ihnen wie ein Fremdkörper. Ein unübersehbar großer Fremdkörper. Eingehüllt in ein groteskes, schlabbriges Oberteiltextil mit ferkelfarbenen Karos verriet ihre Miene nur Resignation über das, was jetzt unausweichlich kommen würde.
    »Wohin des Wegs, meine Damen?« Mo hatte einfach alles im Repertoire, vom Ghetto-Kid bis Gentleman.
    Miss Barbies Röntgenblick wanderte entzückt über seinen
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