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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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lebhaften Stadtverkehr. Max nahm Tempo auf und setzte ihnen nach. Die Wexstraße war in Richtung Großneumarkt Einbahnstraße. Wenigstens kein Ärger mit Gegenverkehr, aber dafür eine langgezogene Steigung über Kopfsteinpflaster! Kein wesentliches Problem für die High-End-Shimano-Schaltungen der City-Cycles. Für die nachgerüstete Billigschaltung und das ausgeleierte Tretlager des gelben Monsters allerdings schon eine Bergprüfung gehobener Kategorie. Max war zwar glänzend in Form, aber für seine Gegner galt das Gleiche. Mo, wie Max im vollen Saft seiner 22 Lebensjahre stehend, war wahrscheinlich schon als Sportskanone auf die Welt gekommen. Er hatte zeitgleich mit Max und Oleg bei den City-Cycles angeheuert. Und während sich vor allem der übergewichtige Max in den ersten Wochen bei fast jeder Tour extrem quälen musste, pedalte Mo von Anfang an die dicksten Touristen in aufreizender Lässigkeit durch die Stadt. Kuli, den Methusalem aller Hamburger Rikschafahrer, durfte man ebenfalls nie unterschätzen. Er war bei City-Cycles ein Mann der ersten Stunde, von Anfang an dabei und mit allen Wassern der Straße gewaschen. Mit seinen weit über vierzig Jahren, den zusammengekniffenen Augen, die stets verschmitzt zu blinzeln schienen, und mit der ledrigen Zähigkeit seiner hageren Gestalt ähnelte er von allen Fahrern am ehesten dem Klischee eines ausgemergelten chinesischen Rikscha-Kulis – was ihm fast zwangsläufig seinen Spitznamen eingetragen hatte. Niemand kam auf die Idee, Kuli anders zu nennen als eben Kuli. Wie er eigentlich richtig hieß, wusste vermutlich nur noch Kuli selbst. Vielleicht.
    Zwischen zwei zurückschreckenden Passanten drückte Max seinen Chinabolzen über den Zebrastreifen am Großneumarkt. Bloß nicht anhalten! Bis er die Kiste wieder in Gang bekäme, wären Mo und Kuli außer Sicht! Zwischen ihnen und Max lag schon fast die ganze Fläche des Marktplatzes. Max gab alles, aber der Abstand zu den Führenden vergrößerte sich mit jeder Pedaldrehung. Wenigstens war die Steigung geschafft, und sie fegten wieder über glatten Asphalt. Max’ Hintern brannte noch vom Ritt übers Kopfsteinpflaster. Wie so manches am gelben Ungetüm ließ auch die Sattelfederung stark zu wünschen übrig. Das galt noch mehr für die Federung der Fahrgastbank, aber Max hatte jetzt keine Zeit, sich großartig um die Befindlichkeit seines Passagiers zu kümmern – jeder Blick nach hinten hätte ihn weiter zurück geworfen. Außerdem, überlegte sich Max, war die Kleine von Natur aus gut gepolstert. Es kamen keine Beschwerden. Er hätte sie allerdings auch kaum gehört, denn allmählich übertönte der klopfende Puls in seinem Inneren jedes andere Geräusch…
    Neuer Steinweg, neue Kulisse: Statt gemütlicher Altbauten moderne Fassaden und dann der Riesenbüroklotz einer Versicherung, die Neanderstraße überbrückend. Max riss sein Gefährt rasant in die Linkskurve. Schlabberbluse behielt ihre Massen offenbar einigermaßen unter Kontrolle, sonst hätte es sie spätestens jetzt aus der Bahn gehauen. An der Ludwig-Erhardt-Straße kamen sie dem Michel ganz nah, dessen regennasses Kupferdach in einem unverhofften Sonnenstrahl aufglänzte. Ein Blick nach rechts belehrte Max, dass selbst himmlischer Beistand ihn kaum die Wettfahrt gewinnen lassen würde: Mo und Kuli hatten schon die nächste Kreuzung erreicht und rasten gerade noch bei Grün über den Holstenwall! Hinter ihnen sprang die Ampel auf Rot. Max ließ entnervt die Beine im Leerlauf baumeln und wandte sich um. Das Mädchen saß kerzengerade da, beide Hände um die Seitenlehnen gekrampft. Ihre grünen Augen musterten Max unergründlich.
    »Was ist?«
    Max jappte nach Luft. »Schaff’ es nicht…«
    Sie stemmt sich hoch. »Geht nicht.«
    »Sag’ ich ja…« keuchte Max.
    Sie beugte sich weit vor, die grünen Augen funkelten plötzlich zornig nur eine Handbreit vor Max’ Gesicht. »Wir sind sauer auf die verdammten Arschlöcher! Fahr los!«
    Stieß sie ihn tatsächlich zurück in den Sattel? Max fand sich plötzlich in Fahrtrichtung wieder, die Hände am Lenker und die Füße auf den Pedalen. Irgendjemand hatte einen Gang eingelegt, die Rikscha machte einen Satz nach vorn. Plötzlich war die Luft wieder frisch und der Verstand wieder klar. Trotzdem würde er Mo und Kuli nicht einholen – wenn man ihnen auf dem gleichen Weg folgte, den sie eingeschlagen hatten! Max brauchte nur eine Sekunde und einen kurzen Blick in den Rückspiegel: Schon schoss das gelbe
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