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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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Superstar ordentlich schikanieren zu dürfen. Überraschenderweise kriegte Westheim im Knast zunächst noch einmal die Kurve, indem er unter den Gefangenen Talentwettbewerbe organisierte und damit ungeahnte Begeisterung entfachte. Dann jedoch vernichtete er die inbrünstige Gesangsdarbietung eines überführten Serienkillers mit dem abfälligen Kommentar: »Das klingt, als ob sie dir den Arsch zugenäht haben und die Scheiße oben raus kommt!« Worauf der Serienkiller in Tränen ausbrach und Pieter Westheim tags darauf in der Gemeinschaftsdusche unter ungeklärten Umständen an einem Stück Seife erstickte. Wochenlang spielten alle Sender »You’re my blood, you’re my bone« und all die anderen Pete-West-Hits rund um die Uhr. Die Tantiemen flossen reichlich, alles in die prallen Kassen der trauernden Witwe Elena Westheim und ihres minderjährigen Sohnes.
    »Letzte Woche haben sie wieder ein Teil von der Kleinen aus der Elbe gefischt!« berichtete Kuli und rekapitulierte: »Kopf im Nikolaifleet, eine Hand bei dir, ein Finger bei Westheim, ein Bein im Köhlbrand, jetzt der Rumpf…«
    Als ein harmloser Jogger am Strand von Wittenbergen über den verwesten, verstümmelten Torso gestolpert war, hatte Nastja ein letztes Mal einen Mann mit dem Anblick ihres Körpers in den Wahnsinn getrieben – wenn auch auf andere Weise als gewohnt.
    »Ja, und jedes Mal, wenn wieder ein Stück von ihr auftaucht, dudeln im Radio Pete-West-Songs für Elena Westheims Tantiemenkasse!«
    »Wer Geld liebt, wird Geldes nimmer satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben!« deklamierte Mo salbungsvoll. »Prediger Salomo, Altes Testament.«
    »Du bist ja noch schlimmer drauf als Hamid.«
    »Triffst du noch diese scharfe Milli von der Kripo?« wollte Kuli wissen.
    Max schüttelte den Kopf. »Die hat immer Schichtdienst!«
    Was nur die halbe Wahrheit war. Er war einmal mit Bronstein aus gewesen, spazieren gehen an der Elbe und hinterher auf ein paar Gläser Vinho Verde ins Portugiesenviertel. Aber ohne das Moment drohender Gefahr schienen sie beide irgendwie gehemmt. Die Reserviertheit auf beiden Seiten war den ganzen Abend über nicht gewichen. Vielleicht waren sie beide zu introvertiert. Seit diesem Treffen Anfang Mai hatten sie sich nicht wiedergesehen. Jetzt war es schon Mitte Juni.
    »Und die Dickmadam?« ließ Mo nicht locker.
    »Elke? Doch, wir telefonieren ab und zu.«
    Mehr allerdings nicht. Elkes Mutter, die flachsblonde Model-Marion, hatte darauf bestanden, dass ihre Tochter wieder zu ihr zog. Und sie schirmte Elke erfolgreich gegen Max gelegentliche Kontaktversuche ab.
    »Ich zieh’ dann mal los«, verkündete Kuli, »hier ist tote Hose!« Er stieg in den Sattel seiner tropfenförmigen City-Cycle-Rikscha und radelte davon.
    Auch Mo machte sich startbereit. »Ich versuche’ es lieber am Rathausmarkt. Man sieht sich.«
    Max nickte ihm zu. Vielleicht sollte er es auch woanders versuchen. Hier am Gänsemarkt wartete er schon fast eine halbe Stunde auf Kundschaft. Sein Handy klingelte.
    »Harder«, meldete er sich knapp.
    »Der Rikschamann?« flötete es fröhlich aus dem Handy. »Ich bin mal mit Ihnen gefahren, an einem Aprilsonntag! WIR sind mit Ihnen gefahren – mein Freund und ich! Ich hab’ Sie gefragt, ob man Ihre Rikscha auch für eine Hochzeit buchen kann, erinnern Sie sich?«
    WIR. Max erinnerte sich. Die aufgedrehte Doris Day mit dem Colgatelächeln und dem Sagrotancharme. »Aber sicher. Ich erinnere mich. Ihr Freund heißt Basti oder so ähnlich, nicht wahr?«
    »Basti war gestern!« Sie kicherte, keine Spur verlegen. »Ich heirate Michi. WIR teilen die gleichen Vorstellungen von Romantik.«
    »Und meine Rikscha. Wann soll der große Tag sein?«
    Sie einigten sich auf übernächsten Sonntag. Sie müsste das allerdings noch mit Michi abstimmen. Auch, ob das mit seinem Antrag wirklich ernst gemeint war. So richtig gefragt hatte er sie eigentlich noch nicht. Aber das wäre nur noch Formsache, kein Problem.
    »Falls doch, haben Sie ja meine Nummer!« meinte Max.
    »Sie wollen mich heiraten?« kam es prompt zurück. Max verschlug es ausnahmsweise die Sprache. Sie kicherte triumphierend und legte auf.
    Vielleicht sollte er Feierabend machen, beschloss Max. Wenn er sich schon so auszählen ließ…
    »Guck mal, Papa, die Rikscha!« Ein Junge mit verwuschelter Zottelfrisur, vielleicht zwölf Jahre alt, bestaunte das Gelbe Wunder und winkte aufgeregt seinen Vater heran, einen etwas verlegen lächelnden Mann um die
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