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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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– da schwenkte die Pistole wieder herum. Max stieß Bronstein beiseite, es knallte, er verspürte einen heftigen Schlag am Schädel und fiel in tiefe Dunkelheit.
    »Max!« Eine dunkle Stimme. Angenehm. Bei aller Panik darin sogar fast erotisch. Bronsteins Stimme. Und sein Schädel tat verdammt weh. Max schlug die Augen auf und versuchte sich aufzurichten.
    »Bleib liegen!« Bronsteins besorgtes Gesicht schwebte nur Zentimeter über ihm. An der Spitze ihrer kühn geschwungenen Nase schimmert eine feuchte Perle. Eine Träne. Hoffte Max zumindest. »Die Kugel hat dir eine Schramme quer über den Schädel gezogen.«
    Sein Schädel tat sogar verdammt weh. Vor allem, wenn er ihn bewegte. Er versuchte trotzdem, sich einen Überblick zu verschaffen. Oleg hockte nach wie vor apathisch an der Wand. Barbar und Rufus waren immer noch tot. Elena schien immerhin leise zu röcheln.
    »Wo ist West?«
    »Abgehauen«, antwortete Bronstein und sah plötzlich sehr erschrocken aus. »Mein Gott – Elke ist draußen…!«
    Wortlos rappelte sich Max hoch, kämpfte eine Welle Übelkeit nieder und griff nach Bronsteins Arm. Mit vereinten Kräften ackerten sie sich die Treppe hinauf und strebten dem Clubausgang entgegen. Die Tür schwang lose im Luftzug – Westheim hatte kurzerhand das Schloss demoliert. Ohne zu zögern, stießen sie die Tür auf, eilten hinaus und blieben wie angenagelt stehen:
    Vor dem Eingang lag Pete West, alle Viere von sich gestreckt, flunderflach auf dem Bauch. Die Pistole war ihm unerreichbar entglitten, und auf seinem Rücken saß in voller Breite ein dickes Mädchen, das die Herbeihetzenden mit vorwurfsvollem Blick empfing.
    »Meine Güte, Bronstein – wann ziehst du dir endlich mal eine anständige Hose über?«

18.
    »Perfekte Schweißnaht. Astrein verarbeitet!« Kulis Finger strichen sachkundig über alle neuralgischen Punkte des Rahmens. Mo ließ vergnügt die weißen Zähne blitzen. »Die Farbgebung hättest du vielleicht überdenken sollen.«
    »Gelb – oder gar nicht!« grinste Max zurück. »Das nennt man Corporate Identity.«
    »Als ob du eine ganze Flotte davon laufen hättest!« spottete Kuli.
    »Kommt vielleicht noch«, konterte Max trocken. Vorläufig arbeitete er solo.
    Mo schien seine Gedanken zu lesen. »Oleg ist raus?«
    Max nickte nur stumm. Oleg hatte zwei Wochen im Krankenhaus verbracht, und schon während Max spärlicher Besuche dort hatten sie sich nicht viel zu sagen gehabt. Zu tief erschien plötzlich der Graben zwischen einstigen Freunden. Einen Tag nach seiner Entlassung hatte Oleg seine Sachen aus der Wohnung geräumt. »Du kannst die Scheine aus der Rikscha behalten«, hatte er vorgeschlagen. »Kauf dir ’ne neue oder sonst was. Für mich ist das nichts mehr.« Das war alles, und das war es dann gewesen. Max hatte sich für eine neue Rikscha entschieden, und Hamid hatte alles daran gesetzt, nicht bloß ein ähnliches, aber hochwertigeres Exemplar als das Gelbe Ungetüm aufzutreiben – er hatte auch etliche verwendbare Teile aus der alten Rikscha in das neue Gefährt implantiert. Sogar die alte, alberne Dreiklangtröte zierte wieder den Lenker. Und Hamid hatte kaum Geld dafür genommen. Es blieb genug übrig, um die Wohnung in der Sillemstraße die nächste Zeit allein bezahlen zu können. Deshalb hatte Max auch das Angebot des alten Straschitz abgelehnt, ihn im nächsten Semester als bezahlte studentische Hilfskraft zu verpflichten. Er hatte nach wie vor keine besondere Vorstellung von seiner Zukunft. Er war doch erst zweiundzwanzig.
    »Ich hab’ gehört, Oleg leitet einen Nachtclub?« hakte Mo nach.
    »Hab’ ich ähnlich gehört.« antwortete Max knapp.
    Das »Hell on Earth« war in allen Schlagzeilen gewesen. Eine Zeitlang hatte es zwangsläufig geschlossen, doch dann folgte die prominenzumschwirrte Wiedereröffnung unter altem Namen im bewährten Stil. Nur der Geschäftsführer hatte gewechselt, er trug Brikettfrisur, Muskeln und den Namen Oleg Wolff. Einen neuen DJ hatte man natürlich auch nötig gehabt. Und eine finanzkräftige Frau für die teure Übernahme – Elena Westheim.
    Ihre Verletzungen hatten sich als wenig schwerwiegend erwiesen, ebenso wenig schwerwiegend wie alles, was man ihr an Mitschuld am Mord an Nastja Kirjakowa nachzuweisen vermochte. Sie blieb sogar Pete Wests Ehefrau, denn bevor der Sänger die Scheidung einreichen konnte, war es vorbei mit ihm. Im Untersuchungsgefängnis hatten die Mithäftlinge nur auf die Gelegenheit gewartet, einen leibhaftigen
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