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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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den Schmerz als etwas außerhalb seines Körpers befindliches zu betrachten – so wenig noch ihm zugehörig wie der Finger, den sie ihm genommen hatten. Das funktionierte leider weder gut noch lange. Mittlerweile lief jeder Pulsschlag auf Flammenzungen von der Wunde den ganzen Arm hinauf bis zur Schulter. Oleg konnte die Mullbinde nicht sehen, die sie um die Hand mit dem Fingerstumpf geschlungen hatten. Aber sie fühlte sich feucht und glitschig an. Der süßliche Blutgeruch überlagerte sogar den Gestank aus dem Eimer, den man zwischenzeitlich zwar geleert, aber nicht gereinigt hatte.
    Er würde hier sterben. Oleg hatte jede Hoffnung aufgegeben, dieses Verließ jemals wieder lebend verlassen zu dürfen. Es ist nicht gerecht, flehte er innerlich. Ich habe noch gar nicht angefangen zu leben! Es darf einfach nicht passieren!
    Aber es würde passieren.
    Und er hatte Max ans Messer geliefert. Absichtlich. Max hat das Foto, wir wohnen zusammen. Er hätte die Wahrheit verraten können: Ich habe das Foto im hohlen Sattelrohr unserer Rikscha versteckt! Dann hätten seine Peiniger einfach einen unbeobachteten Moment abgepasst und sich an der Rikscha bedient. Und danach hätten sie ihn, Oleg, gekillt. Was sie jetzt natürlich trotzdem tun würden. Denn seine letzte Hoffnung erfüllte sich offenbar nicht: Dass die Arschlöcher bei einem Angriff auf Max oder bei einem Einbruch in die Wohnung vielleicht erwischt würden. Von der Polizei. Von aufmerksamen Nachbarn. Luke Skywalker. Superman. Micky Maus…
    Keiner da, wenn man ihn braucht.
    Die Tür knallte auf. Oleg schloss die Augen und wartete auf das grellblendende Licht – stattdessen klickte bloß ein Lichtschalter. Oleg blinzelte in den trüben Schein einer nackten Glühbirne, die von der Decke baumelte.
    »Riecht immer noch scheiße hier, Oleg. Höchste Zeit zum durchlüften!«
    Eine helle, schneidende Stimme – unverzerrt, unverfälscht und unverkennbar.
    »Rufus…?« Oleg erkannte kaum seine eigene Stimme, aus rauer Kehle und gedrückt vor Angst. Den Mann, der jetzt ins Verließ trat und ihn mit seinem breitfiesen Jack-Nicholson-Grinsen bedachte, kannte Oleg umso besser.
    »Rufus…!«
    »Willkommen in der Hölle, Oleg! Willkommen im ›Hell on Earth‹. Ja, du befindest dich im Club – wenn auch eine Ebene tiefer und nicht ganz so gut besucht.«
    Die entfernte Vibration – der Beat aus den Boxen. Jetzt herrschte Stille. Also war der Laden gerade geschlossen, kombinierte Oleg.
    Schreien zwecklos.
    »Aber alles in allem, denke ich, ein durchaus angemessener Ort, um zur Hölle zu fahren«, schwadronierte Rufus gelassen. »Wenn ich bitten darf, Barbar.«
    Der Gerufene schob seine Riesengestalt in den Raum, das Gesicht zur verzerrten Luzifermaske geschminkt und den verschwitzten Leib im knappen Lederkostüm, in dem er bis vor Stunden noch am DJ-Pult gestanden hatte. Über der muskulösen Schulter trug er eine lange Röhre, die er jetzt vor Oleg zu Boden warf – wobei er den Gefesselten diabolisch angrinste.
    »Wir wollen doch keine Sauerei hinterlassen!«
    Dabei versetzte Barbar der Röhre einen zielsicheren Tritt, so dass sie sich vor Oleg wie von selbst entrollte. Eine großflächige Plastikplane.
    Und in der Mitte ein langes Schlachtermesser und eine Säge.
    Oleg schrie.
    Gebückt schlich Max über das Flachdach. Die Sonne schob sich bereits über den Horizont, und er wollte unbedingt vermeiden, dass ihn ein Nachtwächter aus den umliegenden Büros oder irgendein Montagmorgen-Früharbeitswütiger entdeckte und Alarm schlug. Im Club selbst schien kein Betrieb mehr zu sein. Auf dem Hof parkte nur noch ein einziger Wagen – der Touareg, bei dem ein paar tiefe Schrammen und ein zersplittertes Scheinwerferglas vom Zusammenstoß mit dem Gelben Ungetüm zeugten.
    Max hockte sich neben die Dachluke und zog vorsichtig daran. Niemand hatte sie in der Zwischenzeit verriegelt. Der Einstieg in die Höhle des Löwen lag offen vor ihm. Sollte er es wagen? Max tastete nach seinem Handy, dann fiel ihm ein, dass er es Bronstein ausgeliehen und im Penthouse liegen gelassen hatte. Er besaß nicht mal ein Taschenmesser, um sich zur Wehr zu setzen. Dann darfst du dich eben nicht erwischen lassen, schärfte er sich ein. Klappe und rein!
    Auswärtsspiel.
    Festgeklammert am Lukenrand ließ Max sich so weit wie möglich herunter, die restlichen Zentimeter ließ er sich fallen. Er landete fast geräuschlos im Flur vor den Toiletten, huschte zur Schwingtür und schob sich vorsichtig in den
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