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Blumen fuer Zoë

Blumen fuer Zoë

Titel: Blumen fuer Zoë
Autoren: Antonia Kerr
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Prolog
    Ich komme jetzt allmählich in ein Alter, in dem man über seine Memoiren nachdenkt, nachdem man eine Weile erwogen hat, seinen Stammbaum zu erstellen. Da aber sämtliche Papiere meiner Vorfahren bei der Geburt meines Urgroßvaters, der das Produkt eines Inzestes war, von Mitgliedern der Episkopalkirche verbrannt worden sind, ist mir diese Übung glücklicherweise erspart geblieben.
    Kürzlich habe ich ein Studientreffen organisiert, was ebenfalls auf der Liste meiner noch zu erledigenden Aufgaben vor dem Prostatakrebs stand. Ich dachte, das Wiedersehen mit meinen Jahrgangskollegen würde mir guttun, doch ich hätte mal besser auf den Rat meines Freundes Barry hören sollen. Er kennt sich mit Veranstaltungen dieser Art aus und hatte mich davor gewarnt, dass ein Studientreffen vieles mit einer Versammlung von Kriegsveteranen gemein hätte. Dank der Magie des Internets hatte sich mein Wohnzimmer mit jungen Greisen gefüllt, die ehemals flotte Studenten gewesen waren und jetzt ein Glas
Regal
-Bier in der Hand hielten. Wir trugen alle kleine Namensaufkleber am Jackenrevers. So habe ich auch Ingrid F. wiedergetroffen, meine Freundin aus der Zeit, als ich siebzehn war. Diese schwedische Schönheit verschwand mittlerweile unter einem Haufen Falten, sodass ich einen Moment brauchte, um mich an das neue Gesicht zu gewöhnen und den Anflug von Schwermut vorbeiziehen zu lassen, die mich zu erfassen drohte. Ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, dass das der Anfang vom Ende war. Kurzum, das Hochgefühl, das mir dieses Wiedersehen bereitete, war schnell verflogen. Alles in allem hätte ich es vorgezogen, die leicht verblasste Erinnerung an Ingrid zu bewahren, mit ihrer skandinavischen, die Schulterblätter umspielenden blonden Pracht.
    Nach dieser enttäuschenden Erfahrung hatte ich beschlossen, meine Liste in den Müll zu werfen und mir keine Ziele mehr zu setzen. Doch das hätte ich mir auch sparen können. Das Leben holt uns immer wieder ein, das ist zumindest meine Erkenntnis.
    Zoë jedenfalls stand nicht auf meiner Liste. Während ich diese Zeilen schreibe, schlummert sie auf dem Rücksitz. Der Kater schläft ebenfalls, zusammengerollt zwischen ihren Brüsten. Dieses Mistvieh nimmt tausendmal mehr Platz in ihrem Herzen ein als ich, selbst wenn sie das Gegenteil behauptet. Ich muss mich fest auf das Lenkrad stützen, sonst kann später niemand meine Sauklaue lesen. Aber ich will nun mal, dass mein Bericht die Jahrhunderte überdauert: Vielleicht kommt dann irgendein Spinner auf die Idee, auf der Basis meiner Notizen eine Religion zu gründen, die aus Zoë die neue liebreizende Madonna des Jahres 2200 macht. Ich hätte selbst gern diese Glaubensgemeinschaft gegründet, aber jedes Mal, wenn ich Zoë im Schlaf betrachte, komme ich der Christenheit ein kleines Stück näher. Ich betrachte mich jedoch als ihren ersten Jünger, weil ich an nichts glaube außer an sie – Zoë bringt mich Gott näher, um mich sogleich wieder von ihm zu entfernen.
    Wir sind wahrscheinlich in Nevada, zumindest sieht man rote Felsformationen und den einen oder anderen Kaktus, aber sie könnte das besser sagen – ich habe keinerlei Orientierungssinn und mein Gedächtnis lässt mich allmählich im Stich. So kommt es vor, dass ich einen Bundesstaat verlasse und mich schon eine Stunde nach Passieren des Grenzschildes nicht mehr daran erinnern kann, um welchen Staat es sich gehandelt hat. Schlimmer noch, manchmal weiß ich nicht einmal mehr, wo ich gerade bin, wie jetzt zum Beispiel. Mein Vater würde sicher sagen, das liegt daran, dass ich zu lange in New York gewohnt habe und das Stadtleben seine Spuren hinterlassen hat. Er hätte wohl nicht ganz unrecht, auch wenn das Alter nunmehr ebenfalls zu Buche schlägt. Ich fahre ganz nach Gefühl, was mir mitunter einigen Ärger einhandelt. Deshalb ist es Zoë, die sich um die Route kümmert, und ich mich ums Fahren, so ungewöhnlich eine solche Arbeitsteilung sein mag. Wir sind auf dem Weg nach Kanada, aber vorher machen wir noch eine kleine Tour durchs Land; das ist die Gelegenheit für Zoë, etwas über die hiesige Fauna und Flora zu erfahren, obzwar sie ein gebildetes Kind ist, das sich nicht mit den Dokumentationen auf MTV zufriedengibt. Sie weiß schon ungeheuer viel über die Vereinigten Staaten und den Rest der Welt, sie interessiert sich für die Biographien
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