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194 - Der schlafende Teufel

194 - Der schlafende Teufel

Titel: 194 - Der schlafende Teufel
Autoren: A.F.Morland
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Tanner war kein schöner »Mensch«. Dennoch war er verheiratet. Er sah aus, als plagten ihn seit Jahren große Magengeschwüre. Sein Gesicht war schmal, die Wangen eingesunken, über den Lachfalten erhob sich ein dicker Hautwulst.
    Er war Taxifahrer von Beruf und kleidete sich mit Vorliebe wie die Westernhelden: Stiefel, Jeans, Jeanshemd und Weste. Er machte sich nicht viel aus Geld. Das hielt ihm Vivian, seine Frau, immer wieder vor.
    Sie war eine unleidliche Person, hatte sich aber erst nach der Hochzeit in dieser Richtung entwickelt. Vor der Ehe war sie sanft, liebevoll und nachgiebig gewesen. Heute hatte sie den Spieß längst umgedreht - und hielt ihn fortan fest in der Hand.
    Die Tanners führten eine Durchschnittsehe, ohne für den Partner eine besondere Zuneigung zu hegen. Sie lebten einfach nebeneinander - und waren einander mehr oder weniger gleichgültig geworden.
    Das Besondere daran war nur, daß dieser Umwandlungsprozeß nur fünf Jahre gedauert hatte. Bei anderen Partnerschaften zog sich diese Entwicklung über einen wesentlich längeren Zeitraum hin: 20, 25 Jahre.
    Manchmal fragte sich Tanner, wie er wohl reagieren würde, wenn er nach Hause käme und Vivian tot vorfände, und er gab sich immer dieselbe Antwort: Ich würde mich nicht sonderlich aufregen.
    Sie hielten nur noch zusammen, wenn Druck von außen kam, dann bezogen sie gemeinsam Front und wehrten sich, aber ansonsten ließen sie alles laufen, wie es lief. Vor allem George Tanner. Der verspürte absolut keine Lust, die Dinge zu beeinflussen und lenkend einzugreifen.
    Er lenkte nur, solange er im Taxi saß -was ihm von Tag zu Tag mehr stank.
    Irgendwann, das spürte er, würde er den Krempel einfach hinschmeißen.
    Daß er bereits auf der Kippe stand, ahnte er nicht.
    Es erwischte ihn völlig unvorbereitet. Um die Mittagszeit. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf es ihn.
    Es begann mit einem unvermittelt einsetzenden bohrenden Kopfschmerz, der gleich wieder nachließ. Für einen Sekundenbruchteil war Tanner benommen.
    Ihm war so, als hätte jemand in seinem Gehirn auf einen anderen Kanal umgeschaltet. Für eine winzige Zeitspanne sah er ein völlig anderes »Programm«: Feuer, Ungeheuer, dämonische Wesen, Teufel… Es war ein Blick in die Heimat, in die Hölle.
    Sie machte sich auf diese Weise zum erstenmal bemerkbar.
    Am 10. Oktober, um 11.30 Uhr, in Euston, beim Bahnhof.
    Tanner massierte seine Schläfen. Verdammt, was war das eben gewesen? Eine schreckliche Halluzination? Eine verrückte Fehlleistung des Hirns?
    Er hoffte, daß sich dieser heftige Schmerz nicht wiederholte, saß im Taxi und wartete auf einen Fahrgast.
    Im Spiegel entdeckte er einen distinguierten älteren Herrn, dessen sorgfältig gestutzer weißer Oberlippenbart wie eine Fahrradlenkstange aussah. Er stieg ein und nannte die Adresse, zu der ihn Tanner bringen sollte.
    Während der Fahrt passierte es wieder.
    Diesmal war der Schmerz nicht ganz so heftig. Dafür dauerte der Blick in die Hölle etwas länger. Das Feuer schlug Tanner entgegen, leckte in sein Bewußtsein und schmolz einen Kern aus ihm heraus, der immer schon dagewesen war, von dem er jedoch keinen blassen Schimmer gehabt hatte.
    Sein wahrer Ursprung kam zum Tragen, das Böse entblößte Tanners Wurzeln: Er sah, wohin sie reichten und woher er demzufolge kam, aber es entsetzte ihn nicht, denn innig hatte er sich den Menschen ohnedies nie verbunden gefühlt.
    Der »Schläfer« erwachte!
    Das Taxi kam vom Kurs ab, weil Tanner im Moment blind war.
    »He!« rief der Fahrgast bestürzt. »Sie! Sind Sie verrückt? Passen Sie doch auf, wohin Sie fahren!«
    Der Wagen befand sich schon fast auf der rechten Fahrbahn. Tanner hatte die Augen zwar offen, aber er sah etwas ganz anderes.
    Das Geschrei des Fahrgastes schaltete zum irdischen Geschehen zurück. Ein Kastenwagen kam ihnen entgegen. Tanner riß das Taxi auf die linke Fahrspur zurück. Sie kamen ganz knapp an dem entgegenkommenden Fahrzeug vorbei.
    »Halten Sie an!« verlangte der distinguierte Fahrgast wütend. »Mit Ihnen zu fahren ist lebensgefährlich!«
    »Sorry«, sagte Tanner ohne echtes Bedauern. »Ich fühle mich nicht wohl.«
    »Dann ist es unverantwortlich von Ihnen, mit dem Taxi zu fahren. Wenn Sie krank sind, sollten Sie zu Hause bleiben und sich nicht selbst auf die Menschheit loslassen. Aber wahrscheinlich zwingt Ihre Raffgier Sie, auch dann noch weiterzumachen, wenn Sie schon mich und andere gefährden. Leute wie Sie stecken ja immer bis über
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