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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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Ungetüm quer über alle Spuren der Ludwig-Erhardt-Straße, direkt in den Linksabbieger zum Zeughausmarkt! Hupen gellten empört, Reifen quietschten, aber Max fand die Lücke und teilte den Verkehr wie Moses das Rote Meer, bis die Rikscha fulminant über den Bordstein rumpelte und das gelobte Land erreichte. Die wilde Jagd trieb ungebremst voran. Ein kleines Stück voraus überwanden Mo und Kuli gerade die letzte der Ampeln am Millerntorplatz, die sich Max durch sein gewagtes Manöver allesamt erspart hatte. Die City-Cycles fädelten sich bergab in den Verkehr auf der Helgoländer Allee ein, aber Max lag nun nur knapp dahinter. Es ging den Geestrücken hinab zum Elbufer, und da gerieten das schwerere Fahrzeug und das größere Kampfgewicht seiner Passagierin zum Vorteil. Zentimeter für Zentimeter arbeiteten sie sich an die Cycles heran. Max sah, wie sich Mo kurz zu ihm umblickte, Kuli etwas zurief und sich verschärft ins Zeug legte. Nur noch drei, vier Meter – es knallte, Max spürte, wie unter seinen Füßen plötzlich etwas wegbrach!
    Die Kette…
    Mit unverminderter Geschwindigkeit raste die gelbe Rikscha auf die scharfe Rechtskurve unter der Kersten-Miles-Brücke zu. Aus, vorbei, schoss es Max durch den Sinn – ich muss bremsen, und ohne Kette komme ich nicht mehr in Schwung! Druckvoll zog er die Handbremse. Prompt verabschiedeten sich die Reste der schmalen Bremsbelege, blankes Metall rutschte wirkungslos über regenglatte Felgen. Oleg, der krumme Hund! Gestern sein vollmundiges Versprechen, endlich die maroden Belege zu erneuern! Max trat instinktiv rückwärts – sinnlos, ohne Kette keine Rücktrittbremse, und jetzt kam die Kurve…!
    Die gelbe Rikscha zog mit den weißen City-Cycles gleich, für einen Moment rasten alle im Parallelflug auf die Brückendurchfahrt zu. Das schrille Gejohle der Barbie-Truppe zeugte jetzt eher von leichter Panik als von Amüsement. Mo riskierte einen Blick hinüber zum Kontrahenten, begriff, dass da etwas nicht stimmte und reagierte sofort: Er drosselte sein Tempo, lenkte nach innen und ermöglichte es Max damit, die scharfe Kurve anzuschneiden, ohne in den Gegenverkehr zu geraten. Kuli klappte die Kinnlade herunter, als das gelbe Ungetüm an ihm vorbei schoss, sich in der Kurve auf das Außenrad kantete, das Innenrad ohne Bodenkontakt glatt einen halben Meter aufgebäumt. Max zog es im Sattel alle Eingeweide zusammen – ein Kahn vorm Kentern, bis sich für einen magischen Moment lang das perfekte Gleichgewicht einstellte, eine glückselige Sekunde jenseits der Schwerkraft. Dann knallte das Rad wieder herunter. Die Rikscha bockte scheppernd und raste ungebremst weiter. Max erstickte einen wilden Triumphschrei, denn nun blieben ihm keine fünfzig Meter mehr bis zur großen Kreuzung vor den Landungsbrücken.
    Und die Ampel stand auf Rot.
    Reisebusse, Stadtrundfahrten, Taxis. Ein nahtloses Band Blech. Ebenso instinktiv wie hilflos quetschte sich Max’ Faust um den Gummiballon der albernen Dreiklangtröte, die als Klingelersatz die Lenkstange der Rikscha zierte. Das heisere Hupen reichte kaum weiter als an seine eigenen Ohren. Was wäre besser – sich seitlich gegen eine Karosserie zu nageln oder sich beim Versuch, die Lücke im Verkehr zu finden, frontal umnieten zu lassen? Max entschied sich für Attacke und durch…
    Einen Meter vor der Kreuzung sprang die Ampel auf Gelb. Die Rikscha huschte vor der Kühlerhaube eines Nachzüglers auf die Kreuzung, stanzte mit dem rechten Lenkergriff einen neuen Zierstreifen in die Rückfront eines verbeulten Lieferwagens und raste in die Zufahrt der Landungsbrücken. Die mächtige Quaderfront des langgezogenen Bauwerks stand vor Max wie ein unüberwindliches Hochgebirge. Nach rechts knickte die Zufahrt zum Alten Elbtunnel fast rechtwinklig ab – keine Chance, erwog Max im Sekundenbruchteil! Die Rikscha würde sich unweigerlich überschlagen, an der Mauer zerschellen… Er sah nur einen Ausweg: Direkt vor ihm klaffte die Einfahrt zur Brücke Vier – ein breiter, hölzerner Steg, der die Landungsbrücken mit den vorgelagerten Schwimmpontons verband.
    Max lupfte den Lenker im richtigen Moment an, die Rikscha sprang über den Kantstein. Passanten spritzten beiseite, als der gelbe Blitz im Torweg einschlug und dahinter auf den überdachten Steg ratterte. Verdammt! Ebbe, durchfuhr es Max: Die schwimmenden Anleger hoben und senkten sich mit den Gezeiten, und dementsprechend war das Gefälle auf den Verbindungsstegen. Ebbe! Es ging steil
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