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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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ein bisschen hiervon, ein bisschen davon, bloß nie die ganze Suppe auslöffeln! Du mit deinem Scheck von Papi! Du spielst immer nur die Heimspiele! Lächerlich!«
    Wutschnaubend riss Oleg die Wohnungstür auf. Max erwischte seinen Mitbewohner noch auf dem oberen Treppenabsatz und hielt ihn an der Schulter zurück.
    »Zünde doch ’ne Mülltonne an und fang an zu rappen, wenn du unbedingt den Proll raushängen willst!«
    Ihre Blicke verbohrten sich ineinander – dann riss sich Oleg ruppig los.
    »Leck’ mich, Harder.«
    Damit eilte er die Treppe hinab, vorbei am eben heimkehrenden Nachbarn von nebenan. Achim Struck, gefühlt seit 200 Jahren im Mittleren Dienst beim Finanzamt. Die personifizierte Bügelfalte. Er drückte sich verhuscht an die Wand, als Oleg grußlos an ihm vorüber fegte. Fragend schweifte sein Blick hinauf zu Max. »Ärger, Herr Nachbar?«
    Max sah nur Oleg enteilen, trat gegen das Treppengeländer, dass es nur so schepperte, verschwand wieder in der Wohnung und donnerte die Tür hinter sich zu. Achim Struck schüttelte ratlos den Kopf.
    »Auch eine Antwort…«
    Ein Gewitter gnadenloser Beats explodierte über der amorphen Masse willenlos zuckender Seelen, grelle Stroboskopblitze stanzten flüchtige Momentaufnahmen verrenkter Leiber ins neblige Dunkel, die Gesichter in Ekstase verzerrt. Der Platz hieß »Hell on Earth« und man war bestrebt, diesem Namen Ehre zu erweisen. An den Wänden züngelten Höllenfeuer, die sich in unregelmäßigen Abständen in heftigen Stichflammen entluden. Hinter fetten Numark-Turntables sorgte Luzifer persönlich, zwei transpirierende Meter viril-muskulöse Halbnacktheit, für höllischen Sound. Mit Abstand am geilsten aber waren die Teufelchen, fand Pieter Westheim. Teufelinnen? Teufelienchen?
    Satansbraten, entschied Pieter. Süße Satansbraten!
    Das war gut. Das passte. Knusperzarte Kellnerinnen, eine hübscher als die nächste, zurechtgemacht als leckerste Satansbraten: Neckische Hörner als Kopfputz, am Steiß ein aufreizendes Schwänzchen und dazwischen so wenig Textil, dass man ernsthaft darüber ins Grübeln kam, woran das Schwänzchen überhaupt befestigt sein könnte. Pieter grübelte nur ungern. Er ging den Dingen lieber auf den Grund. Weshalb sein innerer Maschinentelegraph sofort auf »Volldampf voraus« gesprungen war, als ihm vor einer Woche hier der Satansbraten aller Satansbraten seinen Drink serviert hatte. Ganz neu, ganz frisch und mit dem Leuchten erstaunter Neugier über einem Rest schüchterner Unschuld. Unwiderstehlich. Um die Hüftknochen spannte sich ein dünnes Lederbändchen, vermutlich die maßgebliche Haltetrosse für den Sitz der teuflisch fragilen Textilkreation. Als sie sich vorgebeugt hatte, um ihm den Drink auf den Tisch zu stellen, wölbte sich ein winziges Röllchen Babyspeck vorwitzig über die Schnur. Das hatte Pieter auf der Stelle den Rest gegeben. Natürlich waren ihm auch die vollen Lippen, die hohen Wangenknochen und ihre Augen aufgefallen, diese dunklen Augen, in denen es feucht schimmerte wie eine Untiefe im Baikalsee. Man war ja schließlich Kulturmensch und kein Lustbanause. Trotzdem war es nur diese samtweiche Wölbung, Verheißung von Wärme und Lust, die sich in ihm fest brannte.
    »Dein Diabolo, bitte…«
    Ein Teufelchen stellte ein hochbordiges Glas vor Pieter ab, gefüllt mit blutroter Flüssigkeit, in der etliche Eiswürfel verdampften, als seien sie direkt aus dem Weltall abgestürzt und ungebremst im Höllenfeuer eingeschlagen. Pieter sagte nichts. Das Teufelchen bleckte kurz ein himmlisches Gebiss und entfernte sich mit derart gekonntem Hüftschwung, dass niemand – jedenfalls kein Mann – auf die Idee gekommen wäre, den Blick auf der Suche nach einem eventuellen Pferdefuß auch nur drei Zentimeter von ihrem 100-Punkte-Hintern abschweifen zu lassen. Auch Pieter sah ihr nach, allerdings rein aus Reflex. Das war nicht sein Satansweib von gestern. Aber die würde noch kommen. So war es vereinbart.
    Er nippte an seinem Drink. Diabolo. Lieber nicht wissen, was da drin ist – aber das Zeug knallte höllisch gut. Besser als jedes andere Gesöff. Und er hatte, weiß Gott, schon Einiges ausprobiert. 30 Jahre Rock’n’ Roll – da ist man entweder längst tot, ganz unten oder ganz groß.
    Pieter Westheim war ganz groß.
    14 Platinscheiben für seine Hits, die Goldenen Schallplatten zählte er schon gar nicht mehr. Eigenes Produktionsstudio, eigene TV-Show, eigener Fanclub. Kaliber wie er residierten normalerweise
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