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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann
Autoren: Jan Schroeter
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Souveränität schmolz schneller als das Eis in seinem Diabolo.
    »Wieso nicht? Du triffst doch hier so viele Freunde…«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, der Typ da eben, bei dem du gleich den Schal gemacht hast.«
    »Den Schal?«
    Pieter schmiss sich an Nastja heran, schlang beide Arme um ihren Hals und drückte ihr eine Imitation ihres Begrüßungskusses für Brikettkopf auf die Wange. Sie reagierte keineswegs empört, sondern lachte fröhlich auf.
    »Ach das meinst du! Das war doch nur Oleg!«
    »Und wieso ist Oleg nur Oleg?«
    Nastja wollte schon wieder auflachen. Der große Superstar machte auf Eifersucht! Doch dann spürte sie instinktiv noch etwas hinter dem zornigen Gehabe – eine tiefe Verunsicherung. Ich habe ihn, dachte sie fast erstaunt. Ich habe ihn wirklich! Sie senkte ein wenig den Blick und lächelte schüchtern.
    »Oleg ist nur ein alter Bekannter. Irgendwie Familie. Wie ein Cousin um fünf Ecken.«
    »Und die begrüßt man so?« Ogott, du machst dich zum Vollhorst, fuhr es Pieter durch den Sinn. Aber er konnte nicht anders.
    »Bei uns in Russland schon. Bei Liebe grüßt man ganz anders.«
    »Ach ja? Wie denn?«
    Statt einer Antwort saß sie plötzlich rittlings auf Pieters Schoß, umfloss ihn wie eine Fangopackung und saugte sich an seinen Lippen fest. Das ist der Himmel, dachte er schwelgend, während die Reste des Diabolo aus dem bei der ungestümen Attacke umgestoßenen Glas über den Tisch und von dort auf sein Hosenbein flossen. Pieter bemerkte es nicht einmal.
    Das ist der Himmel.
    »Das ist super, Hamid! Morgen früh holt Oleg die Karre ab. Und die Rechnung lässt du für mich liegen. Danke, Mann!« Max drückte den Anruf weg und überlegte einen Moment, ob er Oleg die gute Nachricht per SMS verkünden sollte. Dann entschied er sich dagegen und wandte sich wieder seinem aktuellen Bauprojekt zu: Ein zweistöckiges Sandwich. Das Erdgeschoss stand schon, Putenbrust, Edamer und Röstzwiebeln. Eine Toastscheibe als Zwischendecke, der Estrich aus Tubenremoulade war schnell verlegt. Beim Belag stockte der Nachschub. Streik am Bau. Putenbrust alle, Edamer auch. Max tauchte in die unendlichen Tiefen des Kühlschranks. Ziemlich leere Tiefen, bis auf ein Ei von irgendwann und einen verwelkten Salatkopf. Max rupfte die braunen Außenblätter ab. Das Salatherz bewahrte noch eine Illusion von Frische, und wenn man das Ei hart kochte, müssten eigentlich alle Salmonellen den Geist aufgeben, kalkulierte Max. Für große Bedenken war er viel zu hungrig. Kein Wunder, nach dem Tag…
    Die dicke Elke war hoheitsvoll durch die Reihen ihrer feixenden Mitschüler auf die Hafenrundfahrt-Barkasse geschritten. Die Meute konnte allerdings erst ablegen, nachdem Max, Mo und Kuli mit vereinten Kräften die zerbeulte Rikscha vom Poller und von der Festmachertrosse gepflückt hatten. »Stramme Leistung, Harder!« war Mo’s einziger Kommentar zum Geschehen gewesen, Kuli hatte nur den Kopf geschüttelt. Wenigstens kamen sie anstandslos mit dem Wettgeld rüber. Das durfte Max dann gleich an Hamid durchreichen, der nach Anruf mit seinem Pickup zu den Landungsbrücken gekommen war, um den Schrotthaufen von Rikscha in seine Hinterhofwerkstatt abzutransportieren. Dort hatte Hamid anscheinend Wunder gewirkt, denn wie eben vermeldet, war das Gelbe Ungetüm bereits wieder einsatzbereit.
    Im Topf brodelte das Wasser, das Ei schepperte auf den Eruptionen der Blubberblasen gegen die Metallwand. Klonk, klonk. So ähnlich musste es Elke während ihrer gemeinsamen Höllenfahrt auf der Rikschabank ergangen sein. Klonk, klonk. Gut gepolstert oder nicht, das gab garantiert blaue Flecken. Passt zu grünen Augen. Gedankenverloren zerrupfte Max das Salatherz im Rhythmus einer inneren Melodie, im Hirn formierten sich die Worte dazu: »Sie ist ein echter Brocken, drei Meter in Kubik! Sie sieht so aus wie Putenbrust mit Gurke – in Aspik! Elke – die fette Elke…«
    Die fette Elke, der alte Fetenknaller-Song von den »Ärzten«. Wenn man Elke heißt und dann auch noch so aussieht, die absolute Höchststrafe. In ihrer Schulklasse bestimmt der Pflichtheuler auf jedem Fest. Max sah es förmlich vor Augen: Die ausgelassene Meute um Miss Barbie skandiert händeklatschend »El-ke, El-ke, El-ke!«, bis der DJ sich erbarmt und den Höhepunkt des Abends auflegt:
    »Elke ist so niedlich, Elke ist mein Schwarm, im Sommer gibt sie Schatten, im Winter hält sie warm! Elke – die fette Elke…«
    Max fischte das Ei aus dem Topf, kühlte es mit kaltem
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