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54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

Titel: 54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Autoren: Karl May
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ERSTES KAPITEL
    Der Zobeljäger
    Mehrere der halbwilden asiatischen Stämme, die in der Nähe des Baikalsees wohnen, sind militärisch organisiert und müssen unter dem Namen der Baikalkosaken den Grenzdienst versehen. Sie haben die Aufgabe, den Schmuggel zwischen Rußland und China zu verhindern, ganz besonders aber haben sie ihr Augenmerk darauf zu richten, daß die zur Deportation nach Sibirien Verurteilten sich nicht über die chinesische Grenze flüchten können.
    Diese Kosaken sind teils Kavalleristen, teils unberittene Schützen, teils Artilleristen. Insbesondere ist ihnen der Schutz der reichen Erzgruben von Nertschinsk und die Bewachung der großen Karawanenstraße übertragen, die von Peking aus durch die Mongolenwüste über Kiachta nach dem russischen Gebiet führt.
    Der eigentliche Grenzkordon besteht aus befestigten Dörfern, zwischen denen kleinere Schanzen errichtet sind. Von Schanze zu Schanze wird die Verbindung durch berittene Piketts aufrechterhalten.
    In der Nähe eines jeden Dorfes und einer jeden Schanze befindet sich eine sogenannte Wischka. Das ist eine aus drei Baumstämmen errichtete hohe Pyramide, zu der eine Stufenleiter emporführt. Oben ist ein Fanal angebracht, aus Werg und Teer oder Reisig hergestellt. Stets sitzt dort oben ein Posten, der die ganze Gegend überblicken kann. Sobald er bemerkt, daß ein Flüchtling die Grenze überschreitet, brennt er das Fanal an, dessen Feuerschein bei Nacht weithin leuchtet und dessen Rauch bei Tag viele Werst weit zu sehen ist. Dadurch wird die Grenze alarmiert. Außerdem wird dieselbe an jedem Morgen beritten, um die Spuren etwaiger Flüchtlinge zu finden.
    Jedem dieser russischen Posten gegenüber befindet sich ein chinesischer. Sie sind einander zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet, und es ist also für einen flüchtigen Verbannten, selbst wenn es ihm gelungen sein sollte, aus seiner schweren Gefangenschaft im Inneren des Landes zu entkommen, keineswegs leicht, den letzten, erlösenden Schritt zu tun und über die doppelt besetzte und scharf bewachte Grenze zu gelangen.
    Und selbst wenn ihm dies mit Aufbietung allen Fleißes, aller List und allen Mutes glückt, so steht er allein und ohne alle Hilfsmittel da, hinter sich ein Land, in dem ihn eine fürchterliche Strafe erwartet, falls er zurückkehrt, und vor sich eine unendliche Wüste, deren Schrecknisse und Gefahren nicht geringer sind als diejenigen der berüchtigten Sahara in Afrika.
    Daher können Männer, die aus Sibirien glücklich entkommen, leicht an den Fingern hergezählt werden.
    Aber in Sibirien selbst gibt es viele, viele, die entflohen sind, ohne daß es ihnen gelingen will, aus dem Land zu entkommen. Ihr einziger Schutz ist die Öde des Landes, wo sie tausend Verstecke finden können. Sie führen ein armseliges, elendes Leben und gehen meist, in die tiefen Sümpfe gehetzt, von Hunger und Durst gequält, von den fürchterlichen Mückenschwärmen bis auf den Tod gepeinigt, auf ganz unbeschreibliche Weise zugrunde.
    Und doch sind auch sie nicht ohne allen Schutz. Wenn schon der Russe gutmütig ist, so besitzen die sibirischen Völkerschaften diese lobenswerte Tugend in noch weit höherem Grad. Es fällt diesen Leuten nicht ein, den Verbannten zu verurteilen. Sie wissen recht gut, daß bei der Weise, in der das unendliche Reich regiert und verwaltet wird, gar mancher völlig unschuldig oder wohl nur wegen einer sehr zu entschuldigenden Ursache nach Sibirien verbannt wird. Der freie Bewohner schenkt sein Mitleid gern diesen Menschen und nennt die Verurteilten nicht anders als ‚arme Leute‘. Er darf sie zwar nicht direkt beschützen, darf ihnen keine augenfällige Hilfe gewähren, desto mehr aber tut er dies indirekt und heimlich.
    In unzähligen Häusern gibt es ein gewisses Fenster, das niemals durch einen Laden verschlossen wird. Es ist so eingerichtet, daß es sowohl von innen als auch von außen geöffnet werden kann, und des Nachts brennt stets ein kleines Lichtchen hinter demselben. Auf dieses Fenster setzt man Speise und Trank, auch anderes, was der Flüchtige in seiner Lage gebrauchen kann. Dieser kommt dann heimlich herbeigeschlichen und nimmt weg, was er findet. Sind am anderen Morgen die Gaben fort, so flüstern sich die Bewohner des Hauses erfreut zu:
    „Die ‚armen Leute‘ waren da, sie haben es geholt.“
    Es kommt auch vor, daß man ihnen in dem kleinen Gemach, zu dem dieses Fenster führt, ein Lager bereitet, besonders im Winter, wenn der Schneesturm über die
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