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54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

Titel: 54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Autoren: Karl May
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letzte Strophe:
    „Und zög' auch manch' Mädchen
Ein höhnend Gesicht
Und spräche: Ans Rädchen
Da setz' ich mich nicht.
    Mag immer sie spotten,
Doch treib' ich es so,
Ich spinne und singe,
Bin lustig und froh.“
    Der Refrain fiel jetzt wieder ein. Da, als das letzte Wort gesungen war, erschallte ein beifälliges Klatschen hinter der Hecke hervor.
    „Hört ihr's?“ sagte die Magd. „Ich hatte doch recht. Es ist jemand dort.“
    „So mag er herkommen“, meinte Mila.
    Ihr Blick war gespannt auf die Hecke gerichtet. Wer mochte die Person sein, die da applaudiert hatte? Der Vater war fortgeritten, die Mutter befand sich im Haus, und die Knechte hüteten die Herden. Nur ein Fremder konnte sich so heimlich herbeigeschlichen haben.
    Bei diesem Gedanken fühlte sie eine Art von Unmut darüber, daß man es gewagt hatte, sie zu belauschen. Sie stand auf und machte Miene, nach dem Brunnen zu gehen. Da aber trat der Störenfried hinter den Buchen hervor. Als sie ihn erblickte, schwand der Ausdruck des Unmutes aus ihrem Gesicht. Es war ein Bild schöner, voller Manneskraft, das ihr gegenüberstand. Dem konnte man nicht zürnen.
    Der unberufene Lauscher war ein junger Mann im Alter von ungefähr zweiundzwanzig Jahren. Er trug einen linnenen Rock, ebensolche Weste und dergleichen Hosen, die in den hohen Schäften der Stiefel steckten. Seine Mütze war alt und sehr abgegriffen. Dem Anzug nach zu urteilen, hätte er also ein Arbeiter sein können.
    Aber diese hohe, ebenmäßige, stolze Gestalt, dieses Gesicht mit den großen, scharfen, dunklen Augen! Wer in dieses Gesicht und in diese Augen blickte, der mußte ahnen, daß er keinen gewöhnlichen Menschen vor sich habe.
    Man sah keinen Stock und auch keinerlei Waffen an ihm. Aber auf dem Rücken hing eine Leinwandhülle, und ihre Form ließ erraten, daß sie ein Instrument umschließe.
    „Ein Sänger!“ rief eine der Mägde. „Ein Sänger, ein Sänger!“ fielen die anderen ein, vor Freude in die Hände klatschend.
    Gleich den alten Barden und den späteren Troubadours ziehen fahrende Sänger durch die bewohnten Gegenden Sibiriens. Sie sind hochwillkommen, teils wegen ihrer Lieder, denn der Russe singt außerordentlich gern, teils auch wegen der Neuigkeiten, die sie von Ort zu Ort tragen.
    Sind sie es doch fast allein, durch die einsame Gehöfte mit der übrigen Welt in Verbindung stehen, und so ist es sehr erklärlich, daß ihre Ankunft überall Freude hervorruft.
    „Verzeiht, daß ich euch störte!“ bat er. „Ich kam dort aus dem Wald. Die Hecke war schuld, daß ihr mich nicht kommen saht, und weil euer Lied mir so sehr gefiel, wollte ich euch nicht unterbrechen. Darum blieb ich im Verborgenen stehen, bis ihr fertig wart.“
    „Du brauchst nicht um Verzeihung bitten“, antwortete Mila. „Du bist uns willkommen. Wie ist dein Name? Nenne ihn, damit wir wissen, wie wir dich anreden sollen.“
    Sie reichte ihm ihre Hand. Er drückte sie und antwortete:
    „Ich heiße Alexius. Und wie heißt du?“
    „Mila.“
    „So bist du Mila Dobronitsch, von der man mir so viel erzählt hat?“
    „Ja.“
    Sein Auge flog mit bewunderndem Blick über ihre Gestalt, so daß sie errötete und ihm hätte zürnen mögen, daß er sie gar so aufmerksam betrachtete, und doch brachte sie es zu keinem Zorn, als sie an dem Glanz seiner Augen erkannte, daß sie ihm gefallen hatte.
    „Kommst du weit her?“ erkundigte sie sich.
    „Aus weiter Ferne.“
    „Darum habe ich dich nie gesehen. Du warst wohl noch niemals hier?“
    „Ich war noch nicht bei dir, und doch habe ich dich längst gekannt.“
    Es war ein eigentümlicher, höflicher und doch zugleich inniger Ton, in dem er diese Worte sagte.
    „Wie ist das möglich?“ fragte sie, die Augen niederschlagend.
    „Auch ich weiß es nicht. Der Vogel, der noch nie im Süden gewesen ist, träumt von prächtigen Blumen, von goldenem Sonnenglanz. Er kennt das alles nicht; er war noch niemals dort, doch er sehnt sich hin, er träumt davon, und wenn die Zeit gekommen ist, so rüstet er das Gefieder und eilt ohne Weg und Steg dem Ziel, seiner Heimat entgegen. So, gerade so bin ich zu dir gekommen.“
    Mila fühlte sich in diesem Augenblick so verlegen wie noch niemals in ihrem Leben. Halb im Scherz und halb ärgerlich entgegnete sie:
    „Das klingt ja ganz so, als ob du dich nach mir gesehnt hättest.“
    „Das habe ich auch“, nickte er ernst. „Ich hörte so viel von dir, daß ich wünschte, dich einmal zu sehen.“
    „Und was hast du
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