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Kölner Kreuzigung

Kölner Kreuzigung

Titel: Kölner Kreuzigung
Autoren: Gmeiner-Verlag
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PROLOG
    Andächtig kniete der Maler Stephan Lochner vor der noch leeren kleinen Holztafel, in deren Mitte sich leicht rötlich schimmernd ein Holzkreuz abhob, das offenbar nachträglich in eine andere Holzplatte eingearbeitet worden war. Eine ungewöhnliche Prozedur für ein Gemälde, aber sein Auftraggeber hatte darauf bestanden. Vor allem hatte er darauf bestanden, genau dieses Holz zu verwenden. Holz, das er, ein reicher Kaufmann, von einer geschäftlichen Reise nach Mailand mitgebracht hatte.
    Lochner hatte vorsichtig eine Aussparung in seinen Maluntergrund gearbeitet, seinen Einwand, dass die Gefahr drohe, das Kreuz falle aus dem Bild heraus, hatte der Auftraggeber beiseitegewischt. ›Sie sind der Meister, Sie machen das schon‹, hatte er erwidert und Lochner ein weiteres Goldstück in die Hand gedrückt. Dann hatte er vorsichtig die beiden Holzstücke, die der Kaufmann ihm anvertraut hatte, in die Aussparung gelegt. Nie zuvor hatte er Wertvolleres in Händen gehalten. Nie zuvor hatte er auf einem kostbareren Grund gemalt als auf einem Stück des Kreuzes Jesu Christi. Die Idee des Kaufmanns war es gewesen, das Kreuz im Bild aus dem Kreuz des Herrn zu gestalten. Leise sprach Lochner ein Gebet, ließ sich von dem Geplapper der Lehrlinge draußen nicht in seiner Konzentration stören. Noch bevor er mit dem Bespannen begonnen hatte, hatte er sie vor die Tür geschickt. Dies war eine Arbeit für den Meister und ausschließlich für den Meister.
    Er hatte lange überlegt, ob er den Auftrag wirklich annehmen sollte. War dieser wirklich im Sinne des Herrn? Doch letztlich hatte er ihn aktzeptiert. Pries denn nicht die Kostbarkeit des Materials die Größe der Botschaft, und war nicht der Herr an diesem Kreuz gestorben, beerdigt worden und wieder auferstanden? Konnte es einen geeigneteren Untergrund für ein Gemälde über die Kreuzigung geben? Außerdem konnte er das Geld gut gebrauchen. Nach seinem Umzug in das neue Haus in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rathaus und Gürzenich, zu Macht und Repräsentation der freien Reichsstadt Köln, standen noch einige Anschaffungen an.
    Also erhob er sich aus seiner knienden Stellung, der Blick des Christen wandelte sich zum Blick des Künstlers. Er betrachtete das kleine Rechteck aus Holz vor ihm und zeichnete mit Kohle sanft die Konturen seines Werkes vor. Nur am Anfang, als er das Kohlestück aufsetzte, zitterte seine Hand leicht. Doch mit jedem Strich wurde er sicherer, der Respekt vor dem Stoff wich mehr und mehr dem Anspruch, mit seinem Werk diesem Stoff gerecht zu werden. Unsicherheit wich Sorgfalt. Er begutachtete die Proportionen, das alles beherrschende Kreuz in der Mitte, die zwei knienden Figuren rechts und links davon, ihre Körper etwas kleiner als die Darstellung Christi. Lochner überlegte, ob er einen Hintergrund im Stile der Niederländer auftragen sollte. Schon seit geraumer Zeit gingen ihm einige Gedanken durch den Kopf, Bilder und sogar kleine Geschichten, die sich im Hintergrund eines Gemäldes erzählen ließen. Wäre es nicht auch etwas Besonderes, das Kreuz des Bildes an seinem Ursprungsort zu zeigen und hinter ihm den Blick von Golgotha auf die heilige Stadt? Aber seinem Auftraggeber wäre das mit Sicherheit zu modern. Manchmal verzweifelte Lochner schier an der Biederkeit seiner Kunden. Auf seinen Reisen als Geselle hatte er Werke gesehen von solcher Ausdruckskraft und Schönheit, dass es ihm schier den Atem raubte. So viel konnte Malerei ausdrücken, wenn einer sein Handwerk beherrschte und aufgeschlossen war. Doch der Kunde bezahlte und er erfüllte seinen Auftrag. So war das und so würde es immer sein. Die Herrschaften wünschten den traditionellen Glanz des Goldgrundes. Nichts sollte vom zentralen Motiv des Gemäldes ablenken. Lochner tröstete sich mit dem Gedanken, dass kaum etwas dem Kreuz des Herrn würdiger sein könnte als Gold.

TEIL 1
    KRIEGSBEUTE

1
    Reglos lagen die beiden Körper Seite an Seite in ihrem großzügigen Bett. Kurz war er versucht, ihren Kopf auf seine Brust zu legen, aber er widerstand. Stattdessen betrachtete er eine Weile, wie sich das Blut auf den weißen Laken langsam verfärbte. Die Flecken wirkten viel dunkler, als er es sich in seiner Fantasie vorgestellt hatte. Überhaupt war alles anders, als er es erwartet hatte. Besser. Viel besser. Er saß auf einem Hocker am Fuß des Bettes und betrachtete mit einem fast schon künstlerischen Interesse die beiden Leichen im Doppelbett. Sie lagen einander zugewandt da, als
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