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Kölner Kreuzigung

Kölner Kreuzigung

Titel: Kölner Kreuzigung
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Symbolik fand Marius die Kreuzigung, sofern er sie durch die Lupe auf einem alten Foto überhaupt richtig erkennen konnte, sehr einfach gehalten, ein Frühwerk möglicherweise. Aber auf dieses Bild hatte er in dem Berg von Büchern, die er neben sich aufgestapelt hatte, bisher überhaupt keine Hinweise finden können. Vielleicht stimmte die Zuordnung des Gemäldes nicht und es handelte sich um keinen Lochner? Wenn Marius Museumsdirektor Malven richtig verstanden hatte, hatte seit 80 Jahren niemand mehr das Bild gesehen. Alles, was sie darüber wussten, wussten sie aus Dokumenten und vom Hörensagen. Lochners Bedeutung für die Kunstgeschichte lag vor allem darin, dass er quasi ein Übergangsmaler war zwischen der mystischen Beseeltheit des Mittelalters und dem aufkommenden Naturalismus der neuen Malerei. Seine Bildsprache war in weiten Teilen noch durch und durch mittelalterlich in ihrer Symbolik, Marius dachte an Lilie und Schlüssel auf dem Gemälde, dessen Foto ihnen Malven gezeigt hatte. Ihre Darstellung jedoch war von einem ausgeprägten Naturalismus bestimmt. Was Lochner malte, sah aus, als würde es wirklich existieren. Aus seiner Studienzeit erinnerte sich Marius daran, dass die Spezialisten für Malerei dieser Zeit immer schier aus dem Häuschen gerieten, wenn sich ein Maler darauf verstand, den Faltenwurf von Gewändern realistisch darzustellen. Programmierer von Computerspielen ging das heute ähnlich, wenn sie sich über die Darstellung von Wasser unterhielten. Jede Zeit hatte ihre kreativen Herausforderungen, dachte Marius bei sich.
    Nur war er nicht auf der Suche nach kreativen Herausforderungen, sondern nach Informationen über das Kreuzigungsmotiv, auf das Malven sie angesetzt hatte. Er stand auf und ging zurück zu dem Regal mit den Lochner-Büchern. Zwei, drei kleinere Bändchen hatte er außer Acht gelassen. Schließlich hatte er sich auf die kunsthistorischen Standardwerke beschränkt. Nun nahm er sich ein paar kleinere Bücher über Lochner aus dem Regal und blätterte in ihnen. Tatsächlich wurde er fündig. Zwei dieser unter Kunsthistorikern wenig beachteten Bücher erwähnten die Kreuzigung, kannten allerdings das Werk nicht aus eigener Anschauung, sondern lediglich aus anderen Büchern. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Der zweite Band stützte sich bei seiner Beschreibung des Bildes auf das ältere Werk, ließ aber dessen Anmerkung, das Bild selbst nie gesehen zu haben, geflissentlich aus. Entsprechend vage waren die Aussagen. Beide Bücher zählten das Bild zu Lochners Werken, keiner hatte es jemals gesehen, da es sich in Privatbesitz befand, und keiner konnte etwas berichten, was über das wenige hinausging, das Malven ihnen bereits mitgeteilt hatte. Ein frustrierender Nachmittag für Marius. Das einzig Nützliche fand er im Anhang des älteren Buches, nämlich den Vermerk, dass das Gemälde wohl im Auftrag des Kölner Kaufmanns Gerhardt Hochkirchen gemalt worden sei. Bis es in den 20er-Jahren dem Wallraf-Richartz-Museum vererbt wurde, hatte sich das Bild vermutlich stets in Privatbesitz befunden und war nie öffentlich ausgestellt gewesen, was erklärte, warum das Bild in der kunsthistorischen Betrachtung keine Rolle spielte. Auch auf Auktionen war das Bild nie aufgetaucht. Es hatte demzufolge ausschließlich privat den Besitzer gewechselt. Der junge Detektiv vermutete, dass Brock von ihm eine Aufstellung der Besitzer des Gemäldes haben wollte, auch wenn Marius bezweifelte, dass es ihnen weiterhalf, wenn sie wussten, wem Stephan Lochners Kreuzigung zwischen 1450 und 1690 oder so gehört hatte.
    Marius’ Handy durchbrach schrill die Stille der Lesesäle. Köpfe fuhren erschrocken hoch und blickten ihn verstört oder zornig an. Mehrere Leute zischten leise. Marius wollte das Klingeln gerade wegdrücken, sah aber, dass es Brock war. Er nahm das Gespräch so leise wie möglich entgegen, erntete dennoch Missbilligung in den Lesesälen. Eilig und ohne die Bücher ins Regal zurückzustellen, rannte er hinaus, erst einmal vorbei an der Frau am Empfang, deren Stirnfalte sich tief eingrub, als sie Marius nachblickte. Draußen vor der weißgetünchten Eisentür blieb er unter dem Vordach stehen, denn es hatte angefangen zu regnen. »Was gibt’s?«
    »Nichts Besonderes«, antwortete Brock, schweigsam wie immer, wenn es um seine eigenen Recherchen ging, »ich wollte nur hören, was du über unser Gemälde herausgefunden hast.«
    »Wenig«, antwortete Marius wahrheitsgemäß und gab Brock eine kurze
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