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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
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1
    »Pardon, Madame …«
    Nach minutenlangem, geduldigem Bemühen gelang es Maigret endlich, seine Besucherin zu unterbrechen.
    »Sie behaupten also, dass Ihre Tochter Sie vergiften will?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Gerade vorhin haben Sie mir aber nicht weniger bestimmt versichert, dass Ihr Schwiegersohn immer im Korridor dem Zimmermädchen auflauert, um heimlich Gift in Ihren Kaffee oder in einen Ihrer zahlreichen Gesundheitstees zu schütten.«
    »Auch das ist richtig.«
    »Ja, aber …«, er blickte auf seine Notizen, die er sich im Laufe der schon mehr als einstündigen Unterhaltung gemacht hatte, oder er tat zumindest so, als blicke er darauf, »… am Anfang haben Sie mir erzählt, dass Ihre Tochter und ihr Mann einander hassen.«
    »Auch das ist die Wahrheit, Herr Kommissar.«
    »Aber beide sind sich darin einig, Sie umbringen zu wollen?«
    »Aber nein! Das ist es ja gerade … Sie versuchen, jeder für sich, mich zu vergiften, verstehen Sie?«
    »Und Ihre Nichte Rita?«
    »Versucht es unabhängig von den anderen.«
    Es war Februar. Das Wetter war mild und sonnig. Nur ab und zu zeigten sich einige dunkle Wolken am Himmel, die vereinzelte Regenschauer brachten. Dennoch hatte Maigret, seit seine Besucherin da war, schon dreimal im Ofen gestochert, dem letzten Ofen im Hause, den er mit so viel Mühe gerettet hatte, als hier am Quai des Orfèvres die Zentralheizung eingebaut worden war.
    Die Frau musste schon ganz in Schweiß gebadet sein unter dem Nerzmantel, den sie über einem schwarzen Seidenkleid trug, und unter der Last ihres Schmucks, der überall prangte, an den Ohren, am Hals, an den Handgelenken, am Busen, wie bei einer Zigeunerin.
    Und mit ihrer grellen, dick aufgetragenen Schminke, die zuerst zu klumpen und sich jetzt aufzulösen begann, erinnerte sie wirklich eher an eine Zigeunerin als an eine Dame der feinen Gesellschaft.
    »Drei Personen wollen Sie also vergiften.«
    »Sie wollen es nicht nur, sie haben schon damit angefangen.«
    »Und Sie behaupten, dass jeder es ohne Wissen des anderen tut.«
    »Ich behaupte es nicht, ich weiß es.«
    Sie hatte den gleichen rumänischen Akzent wie eine berühmte Schauspielerin, die an einem Boulevardtheater auftrat, und die gleichen brüsken Bewegungen, die Maigret jedes Mal zusammenzucken ließen.
    »Ich bin nicht verrückt. Lesen Sie … Ich nehme an, Sie kennen Professor Touchard? … Er wird als Sachverständiger bei allen großen Prozessen hinzugezogen …«
    Sie hatte an alles gedacht, hatte sogar den berühmten Irrenarzt von Paris konsultiert und sich von ihm ein Attest ausstellen lassen, das ihr völlige Zurechnungsfähigkeit bescheinigte.
    Es half nichts, man musste ihr geduldig zuhören und, um sie zufriedenzustellen, ab und zu ein paar Worte auf einen Notizblock kritzeln. Sie war auf Empfehlung eines Ministers gekommen, der den Leiter der Kriminalpolizei persönlich angerufen hatte. Ihr Mann, der erst vor wenigen Wochen gestorben war, war Staatsrat gewesen. Sie wohnte in der Rue de Presbourg, in einem dieser riesigen Steinblöcke, deren Fassaden auf die Place de l’Etoile gehen.
    »Also, mit meinem Schwiegersohn ist das so … Ich habe das Problem genau untersucht … Ich beobachte ihn seit Monaten.«
    »Er hat also schon zu Lebzeiten Ihres Mannes damit angefangen?«
    Sie reichte ihm einen Plan vom ersten Stock des Hauses, den sie selbst sorgfältig gezeichnet hatte.
    »Mein Zimmer ist mit A bezeichnet, das meiner Tochter und ihres Mannes mit B. Aber Gaston schläft schon seit einiger Zeit nicht mehr in diesem Zimmer.«
    Zu Maigrets Erleichterung klingelte das Telefon. So hatte er endlich einen Augenblick Ruhe.
    »Hallo … Wer ist am Apparat?«
    Der Telefonist verband ihn gewöhnlich nur in dringenden Fällen.
    »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar. Ein Mann, der seinen Namen nicht sagen will, besteht darauf, Sie zu sprechen. Er beschwört mich, es gehe um Leben und Tod.«
    »Und er will mich persönlich sprechen?«
    »Ja. Darf ich durchstellen?«
    Schon hörte Maigret eine verängstigte Stimme fragen:
    »Hallo, sind Sie es?«
    »Kommissar Maigret, ja.«
    »Entschuldigen Sie … Mein Name würde Ihnen nichts sagen. Sie kennen mich nicht, aber Sie haben meine Frau gekannt. Nine … Hallo! Ich muss Ihnen alles erzählen, ganz schnell, weil er vielleicht hierherkommt.«
    Maigret dachte zuerst: ›Na so was! Noch ein Verrückter. Es gibt solche Tage …‹
    Es war ihm aufgefallen, dass die Verrückten im Allgemeinen serienweise auftreten, als stünden sie
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