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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit
Autoren: Rose Tremain
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Fünf Anfänge
    I ch muß feststellen, daß ich alles andere als ein schmucker Mann bin.
    Seht mich an! Ohne meine Perücke – ein Affront gegen jede Eleganz! Mein Haar (was davon noch übrig ist) hat die Farbe des Sandes und ist drahtig wie Schweineborsten; meine Ohren sind von unterschiedlicher Größe; meine Stirn ist mit Sommersprossen übersät; meine Nase, die meine Haartracht natürlich nicht kaschieren kann, ganz gleich wie tief ich diese ins Gesicht ziehe, ist schlichtweg platt, als ob ich bei der Geburt einen Schlag darauf bekommen hätte.
    War dies der Fall gewesen? Wahrscheinlich nicht, denn meine Eltern waren sanftmütige und liebe Leute. Doch werde ich es nun nie mehr erfahren, denn sie starben 1662 in einem Feuer. Mein Vater hatte die Nase eines römischen Kaisers. Diese gerade, scharfgeschnittene Nase würde mein Gesicht aufwerten, aber leider habe ich sie nicht. Vielleicht bin ich gar nicht meines Vaters Kind? Ich bin sprunghaft, unmäßig, gierig, prahlerisch und traurig. Vielleicht bin ich der Sohn Amos Treefellers, des alten Mannes, der Hutformen für meinen Vater herstellte? Wie er liebe ich es, Gegenstände aus poliertem Holz in der Hand zu fühlen. Mein Teleskop, zum Beispiel. Ich gebe zu, daß die Ordnung in meinem Kopf besser durch das Umfassen dieses wissenschaftlichen Instruments wiederhergestellt wird als durch das, was seine Linsen meinem Auge enthüllen. Für eine solch positive Wirkung auf mich sind die Sterne zu zahlreich und zu weit weg; sie lösen in mir nur Entsetzen über meine eigene Bedeutungslosigkeit aus.
    Ich weiß nicht, ob Ihr Euch schon ein Bild von mir machen könnt. Jetzt, da das Jahr 1664 zu Ende geht, bin ich siebenunddreißig Jahre alt. Mein Leib ist dick und ebenfalls sommersprossig, obwohl er selten der Sonne ausgesetzt war. Er sieht aus, als ob ein Schwarm winziger Nachtfalter auf ihm gelandet sei. Ich bin nicht groß, aber dies ist das Zeitalter der hohen Absätze. Ich gebe mir alle Mühe, mich gepflegt zu kleiden, habe aber die schreckliche Angewohnheit, mich beim Essen zu bekleckern. Meine Augen sind blau und klar. Als Kind sah man in mir einen Engel und knöpfte mich oft in einen Anzug aus blauem Moiré, so daß ich für meine Mutter eine kleine Welt in sich darzustellen schien: das Meer und den Sand aufgrund meiner Farben und die Leichtigkeit der Luft durch meine Kinderstimme. Als sie der Feuertod ereilte, glaubte sie noch, daß ich ein Ehrenmann sei. In der wohlriechenden Düsterheit von Amos Treefellers Hinterzimmer (wo alle unsere privaten Gespräche stattfanden) hielt sie meine Hand und erzählte flüsternd von ihrer Hoffnung auf eine glanzvolle Zukunft für mich. Sie konnte nicht sehen – und ich brachte es nicht übers Herz, sie darauf hinzuweisen –, daß wir nicht mehr in einem ehrenhaften Zeitalter lebten. Statt dessen war das Zeitalter der Chancen heraufgedämmert. Und nur die Älteren (wie meine Mutter) und die unverbesserlich Kurzsichtigen (wie mein Freund Pearce) bemerkten das nicht und trafen keine Anstalten, soviel Vorteil wie möglich daraus zu ziehen. Es ist mir peinlich einzugestehen, daß Pearce nicht einmal die Witze versteht – geschweige denn, daß er darüber lacht –, die bei Hofe die Runde machen und die zu übermitteln ich mich verpflichtet fühle, wenn er gelegentlich sein feuchtes Haus in den Fenlands verläßt, um mich zu besuchen. Er ent
schuldigt sich damit, daß er ein Quäker ist. Da muß ich dann lachen.
    Doch nun wieder zu mir – wohin meine Gedanken ausgesprochen gern zurückkehren.
    Mein Name ist Robert Merivel, und wenn ich auch mit anderen meiner Ausstattungsmerkmale (zum Beispiel meiner platten Nase) unzufrieden bin, so bin ich mit meinem Namen ausgesprochen glücklich, weil ich einen großen Teil meines Wohlergehens seinem französischen Klang verdanke. Seit der Rückkehr des Königs ist alles Französische in Mode: Absätze, Spiegel, Sänften, silberne Zahnbürsten, Fächer und Frikassees. Und französische Namen. In der Hoffnung, daraus Vorteil zu ziehen, hat ein enger Nachbar von mir in Norfolk, James Gourlay (zufälligerweise ein häßlicher, ziemlich abstoßender Mann), in seinen ansonsten schottisch klingenden Namen ein »de« eingefügt. Bis jetzt hat der aufgeblasene de Gourlay nichts weiter davon gehabt, als daß ihn ein geistreicher Franzose an meiner Tafel »Monsieur Dégueulasse« getauft hat. Wir haben sehr darüber gelacht, und meine neuen scharlachroten Kniehosen wurden von dem Mundvoll
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