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Der Raecher

Titel: Der Raecher
Autoren: Frederick Forsyth
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gefallen. Übermütig, fröhlich und optimistisch blickten ihm die Gesichter der neunzehn- bis zweiundzwanzigjährigen Männer entgegen, die an der Schwelle zu einem Leben standen, das die meisten nie kennen lernen sollten.
    Er sah genauer hin. Benzie, der direkt neben ihm geflogen war, abgeschossen und gefallen über der Themsemündung am 7. September, zwei Wochen nachdem das Foto aufgenommen worden war. Solanders, der Junge aus Neufundland, einen Tag später.

    Johnny Latta und Willie McKnight, die nebeneinander standen, starben im Januar 1941 bei einem gemeinsamen Einsatz irgendwo über der Biskaya.
    »Du warst von uns allen der Beste, Willie«, murmelte der alte Mann. McKnight war ein Ass und der unbestrittene Star, ein »Naturtalent«. Neun bestätigte Abschüsse in den ersten siebzehn Tagen, einundzwanzig Siege im Luftkampf, als er zehn Monate nach seinem ersten Einsatz einundzwanzig Jahre jung starb.
    Steve Edmond hatte überlebt, war ziemlich alt und steinreich geworden und mit Sicherheit der größte Bergbaumagnat in Ontario. Doch in all den Jahren hatte das Foto ihn stets begleitet: als er allein mit einer Keilhaue in einer Hütte hauste, seine erste Dollarmillion machte und ihn das Magazin Forbes zum Milliardär kürte.
    Er hatte es aufgehängt, um sich an die schreckliche Fragilität dessen zu erinnern, was wir »Leben« nennen. Rückblickend fragte er sich oft, wie er überlebt hatte. Er lag nach seinem ersten Abschuss noch im Lazarett, als die Squadron 242 im Dezember 1941 in den Fernen Osten verlegt wurde. Nach seiner Genesung wurde er in eine Ausbildungseinheit versetzt.
    Doch er wollte wieder Kampfeinsätze fliegen, und verärgert bombardierte er seine Vorgesetzten so lange mit Gesuchen, bis sie seinem Wunsch entsprachen - gerade noch rechtzeitig vor der Landung in der Normandie, bei der er das neue Kampfflugzeug Typhoon flog, einen gefürchteten, ebenso schnellen wie kampfstarken Panzerknacker.
    Das zweite Mal wurde er bei Remagen abgeschossen, als die Amerikaner über den Rhein setzten. Seine Maschine gehörte zu einem Dutzend britischer Typhoons, die den Vormarsch deckten. Nach einem Volltreffer in den Motor blieben ihm nur wenige Sekunden, um Höhe zu gewinnen, die Kanzelhaube zu öffnen und aus der Maschine zu springen, ehe sie explodierte.
    Die Absprunghöhe war gering, die Landung hart. Er brach sich beide Beine. Benommen vor Schmerzen, lag er im Schnee
und nahm nur undeutlich die Stahlhelme wahr, die sich rasch auf ihn zubewegten. Wesentlich deutlicher jedoch wurde ihm bewusst, dass die Deutschen gegen die Typhoons eine besondere Abneigung hegten und die Leute, die er weggepustet hatte, einer Panzerdivision der SS angehörten, die für ihre Toleranz nicht gerade bekannt war.
    Eine vermummte Gestalt blieb vor ihm stehen, blickte auf ihn herab und sagte: »Wen haben wir denn da?« Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr ihm. Wenige von Adolfs Besten sprachen Englisch mit einem breiten Mississippi-Akzent.
    Die Amerikaner brachten ihn, benommen von Morphium, zurück über den Rhein und ließen ihn nach England ausfliegen. Als seine Beine wieder leidlich in Ordnung waren, wurde sein Bett dringender für Neuzugänge von der Front gebraucht. Und so schickte man ihn zur Erholung an die Südküste, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Kanada erste Gehversuche unternahm.
    Er genoss die Zeit in Dilbury Manor, einem verschachtelten, geschichtsträchtigen Gemäuer aus der Tudorzeit mit Rasenflächen, so grün wie ein Billardtischbezug, und einigen hübschen Krankenschwestern. In jenem Frühjahr wurde er fünfundzwanzig und bekleidete den Rang eines Geschwaderkommandeurs.
    Jeweils zwei Offiziere teilten sich einen Raum, doch sein Zimmergenosse traf erst eine Woche später ein. Er war etwa im gleichen Alter, Amerikaner ohne Uniform, und gleichen bei einem Feuergefecht in Norditalien am linken Arm und an der linken Schulter verwundet worden. Das bedeutete eine verdeckte Operation hinter den feindlichen Linien. Spezialeinheit.
    »Hi«, grüßte der Neuankömmling, »Peter Lucas. Spielen Sie Schach?«
    Steve Edmond stammte aus den Bergarbeitercamps in Ontario und hatte sich, um der Arbeitslosigkeit im Bergbau zu entgehen, 1938 zur Royal Canadian Air Force gemeldet. Die Welt hatte damals keine Verwendung für kanadisches Nickel. Später sollte dieses Metall Bestandteil jedes Flugzeugmotors werden,
der ihn und seine Maschinen in der Luft hielt. Lucas stammte aus der Oberschicht Neuenglands, der Wohlstand war ihm in
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