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Der Raecher

Titel: Der Raecher
Autoren: Frederick Forsyth
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gefüllten Jauchegrube vorbei zu den Scheunen ging, in denen sein Vater den Familienschatz vergraben hatte, um ihn vor Plünderern zu schützen. In diesem Augenblick hörten sie ein Rascheln und Wimmern.
    Die beiden Männer entdeckten sie unter einer nassen und stinkenden Abdeckplane. Es waren sechs, dicht aneinander gekauert, verängstigt, zwischen vier und zehn Jahre alt. Vier kleine Jungen und zwei Mädchen, von denen die Ältere offenbar die Mutter ersetzte und die Gruppe führte. Beim Anblick der beiden Männer, die sie entgeistert ansahen, erstarrten sie vor Schreck. Fadil redete sanft auf sie ein. Nach einer Weile antwortete das Mädchen.
    »Sie kommen aus Gorcia, einem kleinen Weiler, ungefähr sechs Kilometer von hier am Berg entlang. Das bedeutet ›kleiner Hügel‹. Ich kenne ihn von früher.«
    »Was ist passiert?«
    Fadil sprach weiter in der lokalen Mundart. Das Mädchen antwortete, dann brach es in Tränen aus.
    »Männer kamen, Serben, Milizionäre.«
    »Wann?«
    »Letzte Nacht.«
    »Was ist passiert?«
    Fadil seufzte.
    »Es war ein sehr kleiner Weiler. Vier Familien, zwanzig Erwachsene, etwa zwölf Kinder. Alle tot, alle ermordet. Ihre Eltern schrien, sie sollten weglaufen, als die ersten Schüsse fielen. Sie entkamen in der Dunkelheit.«
    »Waisen? Alle?«

    »Alle.«
    »Großer Gott, was für ein Land«, sagte der Amerikaner. »Wir müssen sie zum Wagen bringen, runter ins Tal.«
    Sie führten die Kinder, von denen jedes das nächstältere an der Hand hielt, sodass sie eine Kette bildeten, aus der Scheune in die strahlende Frühlingssonne. Vögel zwitscherten. Es war ein schönes Tal.
    Am Waldrand erblickten sie die Männer - zehn, und dazu zwei russische GAZ-Jeeps mit militärischem Tarnanstrich. Die Männer trugen Tarnanzüge und waren schwer bewaffnet.
     
    Drei Wochen später, als Annie Colenso in den Briefkasten schaute und wieder keine Karte darin fand, wählte sie eine Nummer in Windsor, Ontario. Beim zweiten Klingeln wurde abgehoben. Sie erkannte die Stimme der Privatsekretärin ihres Vaters.
    »Hi, Jean. Hier spricht Annie. Ist mein Vater da?«
    »Gewiss, Mrs. Colenso. Ich verbinde Sie sofort.«

3
    Der Magnat
    D ie Baracke der Flight-Crew A war mit zehn jungen Piloten belegt, die der B-Crew nebenan mit weiteren acht. Draußen im hellgrünen Gras des Flugfelds kauerten zwei oder drei Hurricanes, leicht zu erkennen an der buckelartigen Ausbuchtung hinter der Pilotenkanzel. Sie waren nicht neu, und Stoffflicken verrieten, dass sie in den zurückliegenden vierzehn Tagen bei den Gefechten über Frankreich Schrammen davongetragen hatten.
    Die Stimmung in den Baracken hätte in keinem schärferen Kontrast zu dem strahlenden Sommerwetter an diesem 25. Juni 1940 auf dem Flugplatz Coltishall im englischen Norfolk stehen können. Die Moral der Männer von Squadron 242 der Royal Air Force, auch unter dem Namen »Kanadische Jagdstaffel« bekannt, war auf dem Tiefpunkt angelangt - und das mit gutem Grund.
    Die 242 war beinahe von Anfang an, seit an der Westfront der erste Schuss gefallen war, im Einsatz. Sie hatte in der verlorenen Schlacht um Frankreich gekämpft und den Rückzug von der Ostgrenze des Landes bis zur Kanalküste mitgemacht. Während Hitlers vorrückende Blitzkriegsmaschine die französische Armee mühelos beiseite fegte, mussten die Piloten, die sie aufzuhalten versuchten, ein ums andere Mal feststellen, dass man ihre Stützpunkte evakuiert und weiter nach hinten verlegt hatte, während sie in der Luft waren, und dann selbst zusehen, wo sie Verpflegung, Quartiere, Ersatzteile und Sprit auftrieben. Wer jemals einer sich zurückziehenden Armee angehört hat, weiß, dass »chaotisch« das alles beherrschende Adjektiv ist.

    Wieder in England, hatten sie von der anderen Kanalseite aus die zweite Schlacht geschlagen, diesmal über den Stränden von Dünkirchen, während unter ihnen die britische Armee zu retten versuchte, was noch zu retten war, und in wilder Flucht mit allem, was schwamm, zurück nach England paddelte, dessen verlockende weiße Klippen jenseits der ruhigen See zu sehen waren.
    Zu dem Zeitpunkt, als der letzte Tommy von diesen unsäglichen Stränden evakuiert war und die letzten Verteidiger für fünf Jahre in deutsche Gefangenschaft wanderten, waren die Kanadier erschöpft. Sie hatten tüchtig Prügel bezogen: neun Gefallene, drei Verwundete und drei nach ihrem Abschuss in Gefangenschaft geratene Männer.
    Drei Wochen später saßen sie in Coltishall noch immer am Boden
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