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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle
Autoren: Joseph Wambaugh
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für die Überwachung industrieller Anlagen herangekommen wäre. Die war von einem ehemaligen Polizeiinspektor aus Los Angeles gegründet worden, den ich noch von früher her kannte. Ich bekam die Stelle eines Sicherheitsabteilungsleiters bei einer Elektronikfirma, die laufend Regierungsaufträge hat. Neben einem eigenen Wagen standen mir auch ein Büro und eine Sekretärin zu, und ich würde im Monat einen Hunderter mehr nach Hause tragen als bisher bei der Polizei. Unter all den anderen Anwärtern auf die Stelle, bei denen es sich hauptsächlich um pensionierte Captains und Inspectors handelte, fiel seine Wahl deshalb auf mich, weil er meinte, er hätte genügend Bürohengste und wollte lieber einmal einen richtig kernigen Polizisten von der Straße haben. Das war also vielleicht das erste Mal, daß ich für meine Arbeit bei der Polizei belohnt wurde. Und ich war schon richtig gespannt darauf, etwas Neues anzufangen und auszuprobieren, ob sich solide polizeiliche Methoden und Vorstellungen auch bei der Sicherung industrieller Anlagen bewähren würden, um die es in der Regel nicht gerade gut bestellt war.
    Der 30. Mai, der Tag meines offiziellen Ausscheidens aus dem Dienst, war auch mein fünfzigster Geburtstag. Es war kaum zu glauben, daß ich mich nun schon ein halbes Jahrhundert auf diesem Planeten herumtrieb. Aber noch schwerer fiel es mir zu glauben, daß ich bereits dreißig Jahre auf dieser Welt gelebt hatte, bevor ich mein Revier bekam. Meine Vereidigung hatte an meinem dreißigsten Geburtstag stattgefunden. Ich war der Zweitälteste meines Ausbildungsjahrgangs. Der älteste war Cruz Segovia gewesen, der schon dreimal versucht hatte, bei der Polizei anzukommen, aber nie die mündliche Prüfung geschafft hatte. Der Grund hierfür war vermutlich, daß er so schüchtern war und diesen starken spanischen Akzent hatte. Er war ein Mexikaner aus El Paso. Wenn man sich jedoch die Mühe machte, über seinen Akzent hinwegzuhören, sprach er ein grammatikalisch hervorragendes Englisch. Und schließlich war er auch an eine Prüfungskommission geraten, die klug genug gewesen war, diese Tatsache zu berücksichtigen.
    Ich fuhr gerade durch den Elysian Park, als mir diese Dinge durch den Kopf gingen, und sah vor mir zwei Polizisten auf Motorrädern, die in Richtung Polizeiakademie ratterten. Der vordere war ein junger Bursche namens Lefler – einer der etwa hundert Neulinge, die ich bisher in die Polizeiarbeit eingeweiht hatte. Er war erst kürzlich zur Verkehrspolizei versetzt worden, und da saß er nun, stolz aufgerichtet, in seinen neuen, glänzenden Lederstiefeln, dem weißen Helm und den gestreiften Hosen auf seinem Motorrad. Sein Partner, der ihn auf dem Motorrad einarbeitete, war ein wettergegerbter alter Haudegen namens Crandall. Er ist der Typ, der über einen Verkehrssünder in Weißglut geraten kann und gelegentlich die Imagepflege der Polizei mit einem Schlag zunichte macht, indem er zum Beispiel einen Autofahrer vom Motorrad aus anbrüllt: »Verdrück dich ein bißchen auf die Seite, du Arschloch!«
    Leflers Helm war strahlend weiß und leicht nach vorn geneigt, so daß das kurze Visier bis auf seine Nase herabreichte. Ich fuhr neben ihm her und rief ihm zu: »Du hast ja wirklich einen tollen Sturzhelm, Kleiner! Aber zieh ihn doch mal ein bißchen hoch, damit man auch was von deinen blauen Augen sehen kann!«
    Lefler grinste und kam leicht ins Schwanken. Trotz der Hitze trug er teure schwarze Lederhandschuhe.
    »Tag, Bumper«, begrüßte mich Crandall und nahm für eine Minute seine Hand vom Lenker. Langsam fuhren wir Seite an Seite dahin, und ich grinste zu Lefler hinüber, der einen leicht verlegenen Eindruck machte.
    »Na, wie macht er sich denn, Crandall?« erkundigte ich mich. »Habe ich ihn gut eingearbeitet? Ist er bumperisiert?«
    Crandall zuckte mit den Schultern. »Für so ein Baby ist er gar nicht so übel.«
    »Wie ich sehe, hast du ihm ja auch schon die Trainingsräder abgeschraubt«, stichelte ich weiter. Lefler kicherte und kam auf seiner schweren Harley neuerlich leicht ins Wanken.
    Ich konnte die Eisenränder an seinen Absätzen sehen, und ich wußte, daß vermutlich auch seine Sohlen mit Eisen beschlagen waren.
    »Laß dich mit diesen Stiefeln bloß nicht in meinem Revier blicken, Kleiner!« brüllte ich ihm zu. »Mit den Dingern schlägst du ja Funken, und aus Funken wird bekanntlich Feuer.« In diesem Zusammenhang mußte ich an einen anderen Motorradpolizisten denken, der einmal wegen
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