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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle
Autoren: Joseph Wambaugh
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Zeit vertreiben, wenn gerade ein neuer Pornofilm eingelegt wurde. Zwischendurch arbeitete sie in einer Bar weiter unten an der Straße als Animierdame. Obwohl sie inzwischen an die zehn Kilo Gewicht zugelegt haben dürfte, gefiel sie mir immer noch ausnehmend gut, da ich sie noch immer so sah, wie sie früher gewesen war.
    Ich stand also im Halbdunkel hinter der Bühne und versuchte, mich an das Dunkel und an die Stille zu gewöhnen. Sie hatten nicht einmal mehr jemanden, der an der Tür aufpaßte. Vermutlich hatten es selbst die letzten abgetakelten Lustmolche aufgegeben, sich heimlich durch den Seiteneingang in dieses Loch zu schleichen. Die Tapete war feucht und fleckig und löste sich wie alte Schriftrollen von den Wänden. Auf einer Reihe von Stühlen lagen schmutzige Kostüme herum. Der Popcorn-Automat, der inzwischen nur noch an den Wochenenden seine Bestimmung erfüllte, lehnte mit einem kaputten Bein an der Wand.
    »In diesem Schuppen servieren die Kakerlaken das Popcorn. Du willst doch hoffentlich keines, Bumper?« begrüßte mich Glenda, die aus ihrer Garderobe gekommen war und mich aus dem Dunkel heraus beobachtete.
    »Da bist du ja!« Ich folgte ihrer Stimme durch das Dunkel zu der schwach erleuchteten Garderobe.
    Sie küßte mich auf die Wange, wie sie es immer tat, und ich nahm meine Mütze ab und ließ mich auf dem üppig gepolsterten, abgewetzten Stuhl an ihrem Schminktisch nieder.
    »Na, heiliger Franziskus, wo sind denn all die Vögelchen?« neckte sie mich und kitzelte mich an der kahlen Stelle auf meinem Kopf. Sie konnte es einfach nicht lassen, mit ihren Späßen über mich herzufallen, wenn wir uns trafen.
    Glenda trug einen metallisch schimmernden Tanga und Netzstrümpfe, von denen einer ein Loch hatte. Oben war sie nackt, machte aber keinerlei Anstalten, sich etwas anzuziehen. Ich konnte das durchaus verstehen, da es an diesem Tag verdammt heiß war. Andrerseits war ich es nicht gewohnt, sie so zu sehen, und deshalb machte mich ihr Aufzug doch etwas nervös.
    »Ganz schön heiß, was?« Glenda setzte sich und machte sich an ihren Schminktöpfen zu schaffen. »Ab wann hast du wieder Nachtschicht?«
    Glenda kannte meine Gepflogenheiten. Im Winter arbeitete ich tagsüber und im Sommer, wenn die Los-Angeles-Sonne den blauen Uniformstoff in Sackleinen verwandelt, nachts.
    »Ich werde nie mehr nachts arbeiten, Glenda«, entgegnete ich wie beiläufig. »Ich lasse mich pensionieren.«
    Sie wandte sich abrupt zu mir um, so daß ihre schweren, weißen Melonen ein paarmal hin und her schaukelten. Ihr Haar war lang und blond. Sie behauptete zwar immer, das Blond wäre echt, aber ganz sicher war ich mir dessen nie.
    »Du wirst doch nicht etwa aufhören«, sagte sie. »Du machst doch so lang weiter, bis sie dich rauswerfen. Oder bis du abkratzt. So wie ich.«
    »Wir werden beide hier weggehen.« Ich lächelte sie an, als sich ein leicht verwirrter Ausdruck auf ihrem Gesicht auszubreiten begann. »Irgendein netter Kerl wird vorbeikommen und …«
    »So ein netter Kerl hat mich hier schon dreimal rausgeholt, Bumper. Das Problem ist nur, daß ich kein so nettes Mädchen bin. Einfach zu abgenutzt, ganz gleich, für wen. Aber das mit deiner Pensionierung soll doch hoffentlich nur ein Witz sein, oder?«
    »Wie geht's Sissy?« erkundigte ich mich, um das Thema zu wechseln.
    Als Antwort holte Glenda ein paar Schnappschüsse aus ihrer Handtasche und reichte sie mir. Ich bin inzwischen etwas weitsichtig, und so konnte ich in dem Dämmerlicht kaum mehr erkennen als die Umrisse eines kleinen Mädchens, das einen Hund hielt. Ich hätte nicht einmal sagen können, ob der Hund echt war oder nur ein Spielzeugtier.
    »Hübsch ist sie«, lobte ich, da ich wußte, daß das der Fall war. Ich hatte sie zum letztenmal vor ein paar Monaten gesehen, als ich Glenda eines Abends von der Arbeit nach Hause gefahren hatte.
    »Jeder Dollar, den du mir je gegeben hast, kam auf ihr Sparkonto – genauso, wie wir es von Anfang an verabredet hatten«, sagte Glenda.
    »Ich weiß.«
    »Und ich habe auch aus meiner Tasche immer noch ein bißchen dazugelegt.«
    »Dann wird sie ja eines Tages in Geld schwimmen.«
    »Darauf kannst du Gift nehmen.« Glenda steckte sich eine Zigarette an.
    Ich überlegte, wie viel ich Glenda im Lauf der letzten zehn Jahre wohl gegeben hatte. Und ich versuchte mich zu erinnern, wie viele Verhaftungen mir aufgrund der Informationen, die ich von ihr bekommen hatte, geglückt waren. Sie war eines meiner großen
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