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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Wahrheit oder Lüge? - Das Leben als Roman
    Die Geschichte meiner Familie hat mich seit meiner Kindheit geprägt und mein Weltbild entscheidend mitbestimmt, die Suche nach ihren Spuren hat mich seit vielen Jahren begleitet, die Idee zu diesem Buch trage ich schon beinahe mein ganzes Leben mit mir herum.
    Es erzählt die Wahrheit und ist doch ein Roman: Es erzählt die Geschichte so, wie ich sie sehe, sie recherchiert oder erlebt, sie aus den Geschichten meiner Kindheit und Jugend rekonstruiert habe. Aber jede Geschichte enthält so viele Wahrheiten wie Personen, die dabeiwaren oder darüber erzählen.
    Ich war nicht dabei, als mein Großvater im Jahre 1912 durch Moskau fuhr, als mein Vater seinen ersten Theaterbesuch erlebte, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und mein Großvater in St. Petersburg den Jubel der Massen sah und hörte oder als mein Vater 1945 in Klagenfurt in Gestapohaft saß. Ich weiß nicht, bei welchem Satz genau mein Onkel Werner die Stirn runzelte, als er 1958 beim Versuch, das Haus seiner Kindheit zu photographieren, verhaftet wurde, und mich mögen auch meine Erinnerungen an meine eigene Kindheit und Jugend da oder dort trügen. Freunde und Weggefährten von damals werden vielleicht andere Geschichten erzählen, weil sie genau die gleiche Geschichte anders erlebt haben. Dieses Risiko muß man eingehen, wenn man sich vornimmt, so ein Buch zu schreiben.
    Was ich recherchieren konnte, habe ich recherchiert, ich habe
historische Bücher studiert, alte Dokumente gesucht und gefunden, bin bis nach Moskau und St. Petersburg gereist, um die Orte zu besuchen, die ich hier beschreibe, und um in Archiven zu forschen. Ich habe Historiker und meine Familie befragt und mich auf meine Erinnerungen und mein Lebensgefühl verlassen.
    Wahrscheinlich war nicht jede Geschichte ganz genau so, wie sie hier beschrieben ist, aber sie könnte so gewesen sein, und sicher liegt die Wahrheit nicht allzuweit davon entfernt. Letztendlich enthält dieses Buch die einzige Wahrheit, die ich über meine Familie, meinen eigenen Lebensweg und den »Mann mit dem Fagott« erzählen konnte.
    Da und dort haben wir Namen geändert und Personen ein wenig anonymisiert, um niemanden zu verletzen oder an den Pranger zu stellen und die Nachkommen jener, die irgendwann fragwürdig gehandelt haben, zu schützen, denn dieses Buch will nicht anklagen und alte Wunden aufreißen, sondern die Geschichte meiner Familie, an der sich die Geschichte dieses Jahrhunderts spiegelt, auf eine ganz persönliche Weise neu erzählen.
     
    Udo Jürgens-Bockelmann

PROLOG
    Bremen, Weihnachten 1891

Der Mann mit dem Fagott
    Ein dumpfer Aufprall. Ein Schneeball zerspringt dicht vor Heinrich Bockelmanns Kopf an einer Hauswand. Kinderlachen, sich schnell entfernende Schritte. Wieder Stille, nur das Knirschen des Schnees unter seinen Füßen und in der Ferne leise die geheimnisvollen Klänge des Weihnachtsmarktes.
    Die frühe Dunkelheit und das Glitzern der Festbeleuchtung im seltsam kalten Winter geben der Stadt ein fremdes, verzaubertes Gesicht. Vielleicht ist es der in dieser Stadt so seltene Schnee, der alles verändert. Oder vielleicht ist es auch nur Heinrichs Blick, der bereits fremd geworden ist, die Stadt wie zum ersten Mal betrachtet mit Augen, die das Besondere suchen, das Bleibende, Bilder, an denen die Erinnerung sich festhalten kann in der Fremde.
    Jedes Haus, jeder Baum, jedes Licht, jeder Blick ein Abschiedsgruß. Er hatte es sich nicht so schwer vorgestellt. Mit 21 hatte man erwachsen zu sein, ein zielstrebiger junger Mann, der seinen Weg ging. Er mußte sich an diese Rolle erst herantasten, an den festen, zuversichtlichen Schritt in seine Zukunft.
    »Halte die Augen und Ohren offen, sei dir sicher, wer du bist, und sei bereit zu lernen, dann wirst du deinen Weg finden«, hatte sein Vater zum Abschied gesagt und war wieder fortgereist, auf seinem Passagierschiff »Henriette«, mit dem Kapitän Bockelmann die Route Bremen - New York befuhr. Wie meistens würde sein Vater an Weihnachten nicht zu Hause sein. Heinrich kannte es nicht anders, und doch wäre es schön gewesen, den Vater noch ein
wenig länger hier zu haben, diesmal … Der Rat des in der Fremde und im Leben so erfahrenen Vaters hätte ihm in diesen Tagen viel bedeutet. Solche Gespräche waren selten gewesen in Heinrichs Leben. Monatelang war der Vater fort, unterwegs auf den Weltmeeren. Kam er zurück, war er ein Fremder. Und kaum war die Fremdheit gewichen, war er schon wieder auf
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