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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle
Autoren: Joseph Wambaugh
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setzen, eine Zigarre zu rauchen und das Funkgerät so laut zu stellen, daß ich es hören konnte, wenn ich gerufen wurde. Ich wollte mich über das Spiel der Dodgers vom vorigen Abend informieren, und so ging ich, bevor ich in den Wagen stieg, noch zum nächsten Tabakwarenladen. Ich suchte mir ein halbes Dutzend Fünfzig-Cent-Zigarren aus, und da der Laden erst kürzlich den Besitzer gewechselt hatte und ich den neuen Inhaber noch nicht sonderlich gut kannte, fischte ich einen Fünf-Dollar-Schein aus meiner Tasche.
    »Jetzt lassen Sie das mal«, wehrte der alte Mann hinter dem Ladentisch entschieden ab und nahm das Geld nicht an. Also ließ ich mich als Gegenleistung auf ein kleines Gespräch ein und hörte mir ein paar Klagen über das Geschäft an. Als ich ging, vergaß ich eine Zeitung mitzunehmen. Ich wäre schon fast noch einmal in den Laden zurückgegangen, aber ich hatte es mir zur Regel gemacht, niemals von jemandem an einem Tag zweimal etwas umsonst anzunehmen. Also mußte ich mir die Zeitung auf der anderen Straßenseite von Frankie, dem Liliputaner, holen. Er hatte seine Dodgers-Baseballkappe nach vorn gezogen und tat so, als sähe er mich nicht. Aber als ich dann direkt hinter ihm stand, wirbelte er plötzlich herum und rammte mir seine deformierte, kleine Faust in den Oberschenkel.
    »Da, du Fettwanst. Du magst ja alle anderen hier in der Straße einschüchtern, aber mir machst du nichts vor. Warte nur, bis ich dir mal ein Bein stelle und die Kniescheibe zertrümmere.«
    »Was gibt's Neues, Frankie?« erkundigte ich mich, während er mir, ohne zu fragen, eine zusammengelegte Zeitung unter den Arm schob.
    »Nichts Neues, Killer. Wie kommst du denn mit dieser Affenhitze zurecht?«
    »Na ja, es geht so.« Ich schlug die Sportseite auf, während Frankie an einer King-Size-Zigarette paffte. Sie steckte in einer schicken Silberspitze, die halb so lang wie sein Arm war. Sein kleines Gesicht war verhutzelt und faltig, aber er war trotzdem erst dreißig Jahre alt.
    Nicht weit von mir standen eine Frau und ein etwa vier Jahre alter Junge am Straßenrand und warteten, bis die Fußgängerampel auf Grün schaltete. Die Frau zeigte auf mich. »Siehst du den Mann dort? Das ist ein Polizist. Der kommt und holt dich und wirft dich ins Gefängnis, wenn du böse bist.« Dann lächelte sie mich zuckersüß an, weil sie dachte, sie könnte mit dieser Art von Erziehung Eindruck auf mich schinden.
    Frankie, der höchstens einen halben Kopf größer war als der kleine Junge, trat einen Schritt auf die beiden zu und fuhr die Frau an: »Das ist aber wirklich ganz besonders schlau, Gnädigste. Reden Sie ihm ruhig weiterhin ein, daß er sich vor der Polizei fürchten muß – damit er dann, wenn er einmal erwachsen ist, jeden Polizisten haßt, bloß weil Sie ihm ständig Angst gemacht haben.«
    »Ist ja schon gut, Frankie«, versuchte ich ihn, leicht überrascht, zu beruhigen.
    Die Frau hob den kleinen Jungen hoch und flüchtete, kaum daß die Ampel auf Grün geschaltet hatte, vor dem wütenden Liliputaner.
    Frankie grinste mich an. »Tut mir leid, Bumper. Dabei habe ich für euch von der Polente bei Gott nicht viel übrig.«
    »Vielen Dank für die Zeitung, alter Socken«, verabschiedete ich mich von ihm. Auf meinem weiteren Weg hielt ich mich möglichst im Schatten und nickte ein paar Lokalcharakteren und Pennern zu, die mich mit »Hallo, Bumper« begrüßten.
    Ich schlenderte in Richtung Broadway, um zu sehen, wer sich dort so alles herumtrieb, und um eventuelle Taschendiebe zu verscheuchen, die sich dort möglicherweise über die Passanten und Schaufensterbummler hermachten. Ich steckte mir eine von diesen Fünfzig-Cent-Zigarren an, die durchaus einen annehmbaren Ersatz darstellen, wenn mir meine guten Handgedrehten einmal ausgegangen sind. Als ich schließlich den Broadway erreichte, fiel mein Blick zuerst auf sechs Hare-Krischna-Jünger, die an ihrem Lieblingsplatz auf der Westseite der Straße zugange waren. Sie waren alle noch sehr jung, der älteste mochte vielleicht fünfundzwanzig sein. Es waren Mädchen und Jungen, die Köpfe bis auf einen dünnen, langen Pferdeschwanz kahl geschoren, barfüßig, kleine Glöckchen um die Knöchel gebunden und in orangegelbe Saris gekleidet. Zum Klang ihrer Gitarren, Flöten und Tamburine sangen und tanzten sie auf dem Gehsteig herum und veranstalteten ein Mordstamtam. Inzwischen waren sie an dieser Stelle so etwas wie eine feste Einrichtung und machten damit dem alten Herman, dem
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