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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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Prolog
    WEISS
    D ie Versammlung wurde ungewöhnlich still, als das letzte Mitglied des Rates das Tabernakel betrat. Der Eine schritt selbstbewusst auf die Übrigen zu, die auf ihren Plätzen saßen, als hätten sie sich schon vor einer ganzen Weile hier eingefunden. Seine Schritte hallten von den Reihen kannelierter Granitsäulen wider, die dreißig Manneslängen hoch am offenen Himmel endeten. Der tiefblaue Morgen zog dort oben herauf. Auf kunstvoll mit Intarsien verlegtem Marmor klapperten die Absätze seiner Stiefel, und der dunkle Umhang schleifte hinter ihm her, als trete ein Bräutigam vor, um den Bund zu besie geln. Ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen im raschen Wechsel von Schatten und Sonne, während er zwischen den Säulen hindurch auf die versammelte Runde zuhielt.
    In die Säulen waren Sternbilder und Konstellationen eingemeißelt – Himmelskörper so hoch am Firmament, dass viele zu fern lagen, um sie von dieser Welt aus sehen zu können. Sie lasen sich wie ein Buch, ein Bericht, eine Aufzählung von Glanzstücken, Reisen … Werken. Der Eine verzog spöttisch die Lippen und brummte: »Arrogante unsterbliche Biographen.« Er kniff leicht die Augen zusammen, und sein Blick zerfraß Teile der Säulen, so dass der Stein herabrieselte wie Sand in einer Uhr und in den kunstvollen Mustern Lücken klafften. Sein Lächeln wurde breiter, finsterer. Dann ging er weiter und wandte seine Gedanken wieder der Verhandlung zu, die ihn zweifelsohne erwartete.
    Den Hauptsaal betrat das letzte Ratsmitglied noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Er hielt inne und begegnete den gemessenen Blicken seiner acht Brüder, die bereits an der großen, halbkreisförmigen Tafel versammelt saßen. Über ihnen leuchtete der Himmel in unvergleichlichem Blau, der Tag war bar jeglicher Winde, und alles legte Zeugnis ab von der Schöpfung, die sie einmal mehr hervorzubringen suchten. Als er jeden Einzelnen mit forschendem Blick begrüßt hatte, verschränkte er die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten, seinen Platz in der Runde einzunehmen. Auch lud ihn niemand dazu ein.
    Der Augenblick dehnte sich hin wie ein ewig währender Atemzug.
    Dossolum, die Stimme des Rates, erhob sich. Bedauern und Entschlossenheit zeigten sich auf seinem Gesicht. »Maldaea, du wurdest aus unseren Reihen für die Aufgabe ausersehen, bei der Gründung dieser Welt für das Gleichgewicht von Hoffnung und Drangsal, Wachstum und Verzweiflung zu sorgen. Dir wurde die Macht anvertraut, das Werk des Rates zu prüfen, zu verfeinern und Harmonie darin zu schaffen.« Dossolum hielt inne und sah sich nach den anderen um. »Durch dich ist dies unantastbare, heilige Amt verdorben. Durch dein Wirken ist das Gleichgewicht von Ars und Arsa, Körper und Geist, verloren.«
    »Erfülle ich die Aufgabe, die ihr mir anvertrautet, womöglich zu gut?«, entgegnete Maldaea mit beiläufigem Sarkasmus. »Oder ist der übrige Rat zu weich in seiner Güte und Wohltätigkeit?«
    Die Stimme des Rates sah mit streng zusammengezogenen Brauen auf und wählte ihre Worte mit Bedacht. »Du weidest dich an Qualen, Maldaea. Du schöpfst aus dem Allwillen, um Leben zu formen, das von Anbeginn krankt. Deine Schöpfungen tragen nichts zur Verfeinerung der Völker auf dieser Welt bei. Alles, was von deiner Hand zum Leben erwacht, kennt kein anderes Streben als Unterwerfung, Versklavung, Herrschaft.«
    »Dieselbe Eigenschaft, die ihr auch in die Herzen eurer edleren … unvollkommenen Rassen pflanztet.« Maldaea schlenderte einige Schritte voran, und seine dreiste Ungezwungenheit wirkte wie eine Drohung.
    »Unvollkommenheit ist nicht notwendigerweise unmoralisch oder bösartig«, erwiderte Dossolum.
    Maldaea nickte anerkennend. »Weshalb dann dieser Born, in den all meine Werke verbannt und eingeschlossen wurden? Mir ist bisher keine Welt bekannt, in der etwas Derartiges nötig gewesen wäre.« Der Eine baute sich vor Dossolum auf und durchbohrte ihn mit wissendem Blick. »Oder statthaft.«
    »Wir sind die Gestalter, Maldaea. Wir entscheiden, was statthaft ist.« Die Stimme des Rates ließ ihre Worte vom offenen Himmelsgewölbe widerhallen. »Also sind wir hier versammelt, um über deine Rolle bei der Gründung dieser Welt und deinen Sitz in unserem Kreis zu befinden.«
    Schrecklicher, finsterer Hass verzerrte Maldaeas Gesicht. »Und was gedenkst du zu tun, Dossolum?« Zornig funkelte er die übrigen Ratsmitglieder an. »Was will denn irgendeiner von euch tun? Ich bin nicht
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