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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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klarerweise zusammen mit drei Flaschen Rotwein.
    Jetzt steht er also hier am Eck einer Kreuzung, wie abgegeben und vergessen, und außer dem Schild mit der Aufschrift des Zielorts ist weit und breit kein Haus in Sicht, nur Landschaft: linker Hand Wald, so weit das Auge reicht, rechter Hand ein mit Heuhaufen überzogener Hügel inklusive ansteigendem Schotterweg und direkt vor der Nase des ratlosen Willibald dieser Wegweiser: »Pension Regina, ein Kilometer!«, liest der Metzger sich selbst samt der bestimmt artenreichen Fauna ungläubig vor und spickt die Erinnerung an Frau Marianne im Fremdenverkehrs- und Reisebüro von vorhin mit ein paar gesalzenen Verwünschungsgedanken. Genauso unterkühlt wie ihre Arbeitsstätte hat sie ihm nämlich erklärt: »Privat, nicht zu teuer und nicht zu weit weg? Da fällt mir eigentlich nur die Hackenberger Regina ein!«
    Als hätte sich die Unterkunftswahl der sportlichen Frau Marianne beim Anblick ihres sichtlich übergewichtigen Kunden ohne Mitleid von missionarischem Eifer leiten lassen, zeigt der Wegweiser von allen möglichen Himmelsrichtungen ausgerechnet zur Hügelspitze. Von »gut erreichbar« kann für einen beleibten Fußgänger also beileibe nicht die Rede sein.
    Ein Marsch von fünfhundert Metern bergauf und dann fünfhundert Metern bergab ist bereits eine kleine Herausforderung für den Metzger. Für den Metzger mit Koffer allerdings ist diese Strecke ein ausgedehnter Kreuzweg. Vor allem, weil ihm als Dauerjackettträger in all seiner Pein keine Sekunde der Gedanke kommt, dieses ablegen zu können. Sein Jackett wird liebevoll halbjährlich in die Reinigung getragen, spannt bedenklich um den Bauch und hat dunkelbraune Lederflecke auf den Ellbogen, was ja heute durchaus eine modische Note darstellt, zum Zeitpunkt der Anbringung auf dem graubraun melierten Stoff hingegen als rein restauratorische Zwangsmaßnahme gedacht war.
    Ermattet, durchgeschwitzt und kurzatmig wie ein Pekinese am Abrichtplatz erreicht Willibald Adrian Metzger an diesem frühen Samstagnachmittag seine Unterkunft.
    Die Frühstückspensionsbetreiberin Frau Regina Hackenberger begrüßt ihn überschwänglich, als wäre er einer der regelmäßig wiederkehrenden schwäbischen Stammgäste. Dann folgt eine Abfolge vielsagender Bemerkungen: »Na, Sie sind ja ziemlich erschöpft, nicht? Ohne Auto und dann so ein unglaublich großer Koffer! Bleiben Sie gar länger als drei Nächte? Hoffentlich ist in Ihrem Koffer auch leichtere Bekleidung, wir haben Hochsommer, nicht? Keine Sorge, die Sachen von meinem Mann müssten Ihnen passen. Glauben Sie mir, ein wenig Bewegung an der frischen Luft, und der kleine Hügel herauf wird ein Kinderspiel, nicht?«
    Um Gottes willen, denkt sich der Metzger, ein »Nicht?« -Mensch! Während das englische »Isn't it?« durchaus Charme versprüht, ist das deutsche »Nicht?« von der ganz unguten Sorte. Ein »Nicht«, das eigentlich für die Beschreibung einer Verweigerung oder Ablehnung vorgesehen war, stattdessen als Untermauerung der eigenen Ausführungen an ein Satzende anzuhängen beeinträchtigt den Gesprächspartner erheblich darin, das eben Gehörte zu verneinen, und fordert stets neue Informationen. Einen offenkundigeren Beweis hochgradiger Neugierde und bestätigungssüchtiger Rechthaberei gibt es kaum.
    Das könnte anstrengend werden!, denkt sich der Metzger.
    »Und, haben Sie schon ein paar Ausflugsziele?«
    »Ich will nur in die Kuranstalt, deshalb bin ich hier.«
    »Es gäbe da aber schon einiges …!«
    »Nur in die Kuranstalt!«, wird die Hausherrin freundlich, aber bestimmt unterbrochen.
    »Da werden Sie auf jeden Fall viel Bewegung haben, denn ohne Auto ist das ein ziemliches Stück, das sag ich Ihnen. Etwa fünf Kilometer, ganz schön weit für einen Stadtmenschen, nicht?«
    Der Metzger erblasst. Also auch »nicht zu weit weg« war eine Lüge, was den Willibald sofort zu dem Gedanken veranlasst, Frau Marianne könnte von »privat, nicht zu teuer und nicht zu weit weg« einzig das »privat« wörtlich genommen haben.
    Freunderlwirtschaft kommt in den schlechtesten Familien vor.
    Beim Anblick hängender Schultern und eines bekümmerten Eindrucks erwacht nun intuitiv der Hackenberger-Beschützerinstinkt: »Das geht schon, Sie werden sehen. Wenn Sie wollen, können Sie gerne das Rad von meinem Mann verwenden, der braucht es ohnedies nie. Schade, wenn so ein Rad nur herumsteht, nicht? Sie finden es hinten in der Scheune, bitte einfach nehmen. Ab der Bundesstraße geht es
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