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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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Aufenthalt ist er noch immer nicht hier gewesen, der Metzger. Viel zu tun hat er in seiner Werkstatt, das weiß sie, keinen Führerschein hat er, das bedauert sie, und abwechselnd mit ihrer Freundin Zusanne Vymetal passt er auf den Hund auf, das freut und ärgert sie zugleich. Wer kann schon vorhersehen, dass eines Tages doch noch ein menschlicher Partner daherkommt und einen emotional aufsteigen lässt wie einen Heißluftballon. Da ist so ein Hunderl wahrlich ein Sandsack für jede Art spontaner Höhen- oder gar Abflüge.
    Den sollte sie jetzt auch schön langsam machen.
    Die Zeit vor dem Aquarium ist einmal mehr wie im Flug vergangen: Dreiundzwanzig Uhr zeigt ihre Armbanduhr. Schläfrig steht sie auf, verlässt den Ruheraum, durchquert den Wellnessbereich, betritt abermals das Schwimmbad und geht aufmerksam durch die Halle.
    Die Gartenbeleuchtung wirft von außen Licht durch eine überdimensionale, direkt an den gegenüberliegenden Beckenrand angrenzende Glasscheibe und legt ein einladendes Glitzern auf die Wasseroberfläche. Nachtschwimmen könnte ja durchaus etwas Schönes sein, nur eben nicht unbedingt in diesem Becken, geht es Danjela durch den Kopf. Dann zuckt sie zusammen. Ein runder Schatten schimmert aus der Tiefe empor.
    Vorsichtig beugt sie sich hinunter und fixiert diesen dunklen Fleck, der regungslos am Grund des Beckens in seiner Position verharrt.
    Dann kann sie alles erkennen. Dunkel sind nur die Haare, ganz im Gegenteil zum dazugehörigen Körper. Es gibt also noch andere Individualisten, die den Öffnungszeiten ein Schnippchen schlagen. Wie eine versunkene marmorne Statue liegt der Körper im Wasser, schwach hebt er sich in seiner Nacktheit vom Weiß der Fliesen ab. Einige Zeit starrt Danjela Djurkovic noch angespannt, auf irgendeine Regung wartend, ins Schwimmbecken, dann wird ihr klar: Mehr als dieses Weiß wird sich langfristig von den Bodenplatten auch nicht mehr abheben. So lange bleibt keiner unter Wasser, außer er ist tot.
    Von einer seltsamen Gelassenheit erfasst, steuert sie mit ruhigem Schritt einen der roten Knöpfe an der Wand des Hallenbads an und hält die Notglocke lange gedrückt. So lange, bis dort, wo der Warnton ankommt, klar wird: Es ist etwas passiert.
    Dann nimmt sie Tempo auf, knirschend wälzen sich ihre Badeschlapfen über den immer noch staubtrockenen Boden. Gehetzt verlässt sie den Badebereich. Erst in der Nähe der Rezeption versucht sie bedächtiger durch das Haus zu schlendern, um in Anbetracht ihres eigenen verbotenen Ausflugs keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Am Gang nähern sich aufgeregte Stimmen. Zwei Angestellte laufen an ihr vorbei. Ein Stein fällt ihr vom Herzen, sie muss nichts weiter unternehmen.
    Eine Viertelstunde später trifft der Notarztwagen ein. Danjela Djurkovic tritt vom Fenster ihres Zimmers 3.14 im dritten Stock zurück, legt sich aufs Bett, nimmt ihr Mobiltelefon und drückt die Kurzwahltaste zwei.
    5
    E s IST KURZ VOR M ITTERNACHT , der Metzger wird schweißgebadet aus seinem Sommernachtstraum gerissen. Eigenhändig von Danjela Djurkovic vor der Geschenkübergabe speziell für ihre Anrufe ausgewählt, ertönt der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn-Bartholdy. Auch Felix Mendelssohn wäre jetzt wohl schweißgebadet und würde dem 21. Jahrhundert schockiert seinen Sommernachtstraum entreißen. Das Display des Metzgers zeigt: » Beste Frau für Willibald«.
    »Ist alles eingespeichert, was notwendig! Brauchst du nur einschalten. PIN-Code 8317. Kannst du leicht merken, weil umgedreht gelesen heißt: LIEB. Darfst du nur drehen ab, wenn bin ich bei dir!«, hat die Djurkovic mit einem verliebten Lächeln verkündet.
    Gut, sie hat es lustig gemeint, aber lustig ist das nicht, einem bekennenden Handy-Verweigerer ein solches liebevoll vor den Latz zu knallen. Gehorsamstreu schleppt der Metzger nun dieses Terrorgerät mit sich herum und sieht einmal mehr seine Theorie bestätigt: Je freier der Mensch, desto größer seine Bereitschaft zur selbst verursachten Geiselhaft. Ein Mobiltelefon nimmt dem Menschen schleichend die Fähigkeit, ungestört allein sein zu können, und lässt ihn quasselnd vor sich selbst davonlaufen, jedes drängende Problem ausbreitend: »Was mach ich denn jetzt, ich hab doch ein stilles Mineralwasser bestellt, und das Servierte sprudelt?« Die Welt ist umsponnen mit einem Netz ständiger Offenbarungen und erfüllt von einem Ruf nach unmittelbarer Aufklärung, in den Augen des Willibald jedoch ganz im Sinne Immanuel
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