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Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Titel: Der Tote vom Silbersee (German Edition)
Autoren: Ursula Schmid , Christine Schneider
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Prolog
    So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt. Er wusste, es gab keinen Ausweg mehr. Statt in Panik auszubrechen, fühlte er eine tiefe Ruhe. Die aufsteigenden Nebel schienen ihm wie weiche Kissen. Magisch zogen sie ihn an. Obwohl er die Gestalten am Ufer nicht mehr sehen konnte, wusste er, dass sie auf ihn warteten. Das Letzte, was er hörte, war der Ruf eines Uhus im nahen Wald. Er hatte bisher nicht gewusst, wie herrlich das klang, wie lebendig, wie wunderbar lebendig. Tränen traten ihm in die Augen, weil ihm klar war, dass er diesen Ruf nie mehr würde hören können. Langsam sank er auf die Nebelkissen nieder. Der Ruf des Uhus erstarb.
    März 1967
    Der kleine Junge saß zusammengekauert in völliger Dunkelheit. Er war nackt. Ihm war kalt. Seine Hand tastete den Boden ab, spürte einen Lappen, den er sich über die Beine legte. Eine einsame Träne rann ihm an der Nase entlang; tropfte von seinem Kinn auf die Hand, die er schützend auf die Knie gelegt hatte. Sein Körper wiegte sich vor und zurück – vor und zurück.
    Als die Tür geöffnet wurde, wusste er nicht, wie lange er hinter dem Bretterverschlag unter der Treppe verbracht hatte.
    »Hast du es immer noch nicht kapiert?«, keifte eine männliche Stimme. »Eine Zwei ist nicht genug. Streng dich gefälligst an.«
    Der Junge blinzelte in das Licht. Er musste weggenickt sein. Mit einem Besenstiel trieb ihn der Mann aus dem Verschlag. Warf ihm einen Bademantel zu.
    »Zieh dich an, Tante Rosi ist gekommen.«
    Mit einem Satz war der Junge aus dem Raum. Es waren nur drei Schritte bis zur Treppe in das obere Stockwerk.
    ***
    »Jungchen! Am helllichten Tag im Bademantel?«
    Tante Rosi stand an der Tür und schüttelte verwundert den Kopf. Eine Augenbraue hochgezogen, strafender Blick.
    »Ja, so ist er. Immer reinlich, immer sauber«, sagte der Mann und tätschelte ihm die Schulter. »So, lauf. Wir trinken gleich Kaffee. Hast du das Bad sauber gemacht?«
    Der Junge nickte schüchtern und sah zu, dass er eilig in sein Zimmer kam. Sein Kopf schmerzte. Er wusste, wenn er sich nicht sputete, würde er wieder eine Tracht Prügel über sich ergehen lassen müssen. Schnell schlüpfte er in seine Jeans, riss einen Pullover aus dem Schrank. Er hielt inne und zischte schmerzerfüllt: »Irgendwann werde ich erwachsen sein und dann wirst du dafür büßen.«

1
    »Der Zug fährt in wenigen Minuten in Nürnberg Hauptbahnhof ein.«
    »Schön brav, Trixi«, sagte Lena Wälchli zum wuscheligen Kopf, der aus einer Hundetragtasche herausschaute. Ein Winseln war die Antwort. Lena stellte die Tasche auf den Sitz neben sich. Trixi zuliebe hatte sie extra einen Erste-Klasse-Fahrschein gelöst. Da drängten sich die Fahrgäste nicht so dicht wie im Abteil der Holzklasse.
    Lena streckte sich nach ihrem Koffer im Gepäcknetz. Er drohte, vornüber zu kippen, als sie den Griff packte.
    »Darf ich Ihnen behilflich sein?«
    Ein schlanker Mann im perfekt sitzenden Anzug, der gerade an ihrem Abteil vorbeiging, sah das Dilemma und nahm den Koffer aus dem Netz. Der Duft eines teuren Herrenparfüms erfüllte das Abteil. Lena dankte ihrem Helfer mit einem strahlenden Lächeln.
    »Sie sind aus der Schweiz?«, stellte der fest. Auf Lenas fragenden Blick hin deutete er auf das Schweizer Wappen, das den Koffer zierte.
    Sie nickte.
    Der vornehme Herr mit den eisblauen Augen reichte ihr noch galant die Hand beim Aussteigen. Dann verbeugte er sich und murmelte so etwas wie »schönen Aufenthalt«. Er verschwand im Getümmel.
    Das ist ein Mann, Kavalier der alten Schule, dachte Lena beeindruckt. Der strahlt eine Eleganz und Selbstsicherheit aus.
    Sie sah ihm nach. Das Zappeln des Terriers riss sie aus ihrem Tagtraum.
    »Sei nicht so ungeduldig, Trixi!« Lena öffnete den Reißverschluss und das schwarze Wuschelhündchen hüpfte heraus.
    Zielstrebig steuerten die beiden die Mittelhalle an. Es war nicht ihr erster Besuch in Nürnberg. In den letzten Jahren hatte sich sehr viel getan. Der Nürnberger Hauptbahnhof war umgebaut worden. Moderne Ladengeschäfte, Cafés und Bars verliehen dem Bahnhof eine geschmackvolle Atmosphäre.
    Lena blieb auf der ersten Treppenstufe stehen, atmete tief durch und ließ den Blick Richtung Königstraße schweifen. Der kleine Hund zerrte an der Leine. Lena folgte dem Tier zu einem kleinen Stück Wiese. Trixi schnüffelte ausgiebig.
    Da hat sich wenigstens nichts verändert, dachte die Frau. Ich sehe immer noch die Altstadt und das Königstor an der Kreuzung und den
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