Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
1
    Das Geröll knirschte unter ihren Stiefeln, als sie das ausgetrocknete Flussbett emporstieg. An den Spitzen vertrockneter Grasbüschel glitzerten morgendliche Tautropfen. Der Ruf eines Ziegenmelkers verhallte klagend in den Tiefen des namenlosen Tals, und vereinzelt summten Fliegen durch die Luft, auf der Suche nach einem Ort, an dem sie vor der Hitze des heranbrechenden Tages Schutz suchen konnten.
    Hannah Peters blickte über den Rand ihrer Brille und sah hinauf in den kobaltblauen Himmel. Nicht der kleinste Wolkenschleier war zu erkennen. Obwohl die Sonne bereits so hoch stand, dass ihre Strahlen auf die Felswand zu ihrer Linken fielen, führte die Luft noch die Kälte der Nacht mit sich. In zwei Stunden aber würde es hier unten kaum noch Schatten geben. Dann würde die Luft flirren und jeder Schritt zu einer Qual werden. Bis dahin musste sie das markierte Gebiet erreicht haben, einen steilen Felsabbruch am Zusammenfluss dreier Wadis , wie die Einheimischen die nur zeitweise Wasser führenden Trockentäler nannten. Auf ihrer Karte sah das Gelände ideal aus. Wie geschaffen für einen Überhang mit Felsmalereien.
    Hannah wühlte in ihrem Rucksack auf der Suche nach ihrer Uhr. Dabei stieß sie auf ihren Reisepass, der hier eigentlich gar nichts verloren hatte, doch dann fand sie, wonach sie suchte.
    Schon sieben Uhr vorbei. Verdammt. Eigentlich hätte sie seit über einer Stunde unterwegs sein wollen, aber sie musste ja gestern Abend unbedingt diesen Dattelwein trinken. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, aber es war noch viel zu früh, um einen Schluck aus ihrer Feldflasche zu nehmen. Hier tat man gut daran, sich seinen Vorrat an Wasser einzuteilen, das hatte sie schmerzhaft lernen müssen. Außerdem wollte sie vorankommen, um nicht in die Gluthitze des Mittags zu geraten.
    Sie war gerade im Begriff, ihren Schritt zu beschleunigen, als sie ein sonderbares Schnauben vernahm, das so gar nicht in die Stille des felsigen Tals passen wollte: das Schnauben eines großen Tieres.
    Hannah bog um einen Felsvorsprung und blieb wie angewurzelt stehen. Nicht mehr als fünfzig Meter von ihr entfernt stand eine Addaxantilope. Einmal hatte Hannah eine Herde dieser scheuen Tiere gesehen, doch das war draußen gewesen, in den weiten Ebenen der Wüste. Sie hatte noch nie gehört, dass einzelne Tiere sich so weit in die Berge hineinwagten. Es war ein Bock, mit graubraunem Fell und geschraubten Hörnern, die gut einen Meter maßen. Ein herrliches Tier.
    Prüfend hielt es seine Nase in den Wind. Seine Flanke zitterte. Es schien, als stünde das Tier unter großer Anspannung. Wovor hatte es solche Angst? Hannah ließ ihren Blick über das Gelände wandern, konnte aber nichts entdecken. Sie wusste, dass es gefährlich war, sich in der Nähe eines solchermaßen verstörten Tieres aufzuhalten. Langsam, um es nicht zu erschrecken, ging sie rückwärts, während ihre Augen die umliegenden Felsen nach einer geschützten Stelle absuchten.
    Plötzlich hörte sie Steine fallen. Der Antilopenbock riss den Kopf hoch. Gehetzt blickte er nach allen Seiten. Angstvolles Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Ein kurzes Aufbäumen, dann brach er aus und stürmte mit atemberaubender Geschwindigkeit los. Hannah erstarrte. Die pfeilspitzen Hörner gesenkt, donnerte die Antilope in vollem Galopp auf sie zu. Wie ein Güterzug, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war vollkommen ungeschützt. Es gab hier keinen Fels, hinter dem sie sich hätte verstecken, keinen Baum, auf den sie hätte klettern können. Ihr Puls flatterte. Sie glaubte zu spüren, wie der Hufschlag den Boden erzittern ließ. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei, doch ihre Stimme versagte. Fassungslos starrte sie auf die entsetzlichen Hörner, als ein gewaltiger Schlag die Antilope von den Beinen riss. Der massige Körper stürzte und rutschte, in eine Staubwolke gehüllt, vor ihre Füße. Endlose Sekunden vergingen, ehe Hannah durchatmete.
    Der Bock lag regungslos vor ihren Füßen. Zitternd ging sie einige Schritte zurück und schlang die Arme um sich, unfähig zu begreifen, was soeben geschehen war. Sie hatte weder einen Schuss gehört noch etwas anderes wahrgenommen, was auf die Ursache dieses Sturzes hindeuten konnte. Erst als der Staub sich legte, erkannte sie zwei sandfarbene Hunde, die neben der Antilope kauerten. Sie mussten so schnell gewesen sein, dass Hannah sie nicht hatte kommen sehen. Oder war es die Todesangst gewesen, die ihren Blick umnebelt hatte? Es waren große Tiere mit lang
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher