Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
die sich die Geschöpfe der Sahara vor den Fluten aus Sand gerettet hatten.
    Hannah beobachtete, wie Kore sich der erlegten Antilope zuwandte. Vier fachgerechte Schnitte um die Fesseln, einen am Schädel. Dann blies er ihr mit einer dafür vorgesehenen Pumpe Luft unter die Haut und zog ihr das Fell wie einen Handschuh ab. Er hängte es sorgfältig zum Trocknen auf und begann anschließend, die Antilope in handliche Teile zu zerlegen. Die Stücke verstaute er in Lederbeuteln. Den Hunden warf er währenddessen immer wieder kleine Bissen hin, aber nie so viel, dass sie wirklich satt wurden. Sie durften ihren Jagdtrieb nicht verlieren. Als Kore seine Arbeit beendet hatte und klar war, dass es für die beiden nichts mehr geben würde, verzogen sie sich, um sich zwischen den Felsen noch selbst zu versorgen.
    »So«, wandte er sich nach getaner Arbeit seinem Gast zu. »Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, aber ich musste das jetzt erledigen, damit das Fleisch nicht verkommt. In den Beuteln kann es jetzt reifen, bis ich in mein Lager zurückkehre.«
    Hannah winkte ab. »Das ist doch selbstverständlich. Sie haben übrigens gute Gehilfen. Was sind das für Hunde?«
    Kore lächelte. »Mischlinge. Das sind die besten Jäger. Immer hungrig, nie zufrieden. Bei ihnen ist der Jagdinstinkt noch nicht verloren gegangen. Außerdem wissen sie genau, dass sie die Beute nicht töten dürfen. Sie sind sehr gelehrig.« Er setzte sich zu ihr und goss sich ebenfalls einen Tee ein. »Erzählen Sie. Warum suchen Sie nach Felsbildern?«
    »Weil ich davon fasziniert bin. Es gibt sie auch im südlichen Afrika, doch nirgendwo sind sie besser erhalten und prächtiger als hier, mitten in der Sahara. Die trockene Luft bewahrt die Gravuren und Farben besser als jedes Museum.« Sie spürte, dass sie ins Dozieren geriet, aber Kore zeigte keine Anzeichen von Desinteresse. Also fuhr sie fort. »Das Problem ist nur, die Bilder aufzuspüren. Auf einer Fläche, so groß wie ganz Europa, sind sie so schwer zu finden wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Doch hier, nordöstlich von Djanet findet man die schönsten und bedeutendsten Bilder Afrikas. Vielleicht sogar der ganzen Welt. Höchstens die Malereien in den Höhlen an der Vézère im Südwesten Frankreichs können sich damit messen. Höhlen mit schillernden Namen wie Font de Gaume, Les Combarelles oder Lascaux. Orte, die Weltruhm erlangt haben.«
    Kore nickte bedächtig. »Hier gibt es keine Namen, nur Felsen und die Malereien der Alten.«
    »Ja, aber dafür sind sie von unvergleichlicher Schönheit. Als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass ein einziges Menschenleben nicht ausreichen würde, um sie zu erforschen.« Ihre Stimme wurde bei diesen Worten immer leiser.
    Kore strich mit seinem Finger über das Teeglas. »Was sagt Ihre Familie dazu, dass Sie so allein in die Wüste gehen?«
    »Meine Familie?« Sie lachte bitter. »Ich habe seit Jahren keinen Kontakt zu ihr. Vater hasst mich, weil ich nicht seinen Wünschen entsprochen habe. Er wollte, dass ich sein Geschäft übernehme oder dass aus mir eine anständige Ehefrau wird. Es gab nur diese zwei Möglichkeiten. Nun ja, im Gegensatz zu meiner Schwester muss ich wohl eine einzige Enttäuschung gewesen sein.« Sie stockte. Seit langer Zeit hatte sie zu niemandem mehr so offen gesprochen, nicht einmal zu ihrem Assistenten. Aber sie hatte auch seit langer Zeit keinen Außenstehenden gefunden, der ihr so geduldig zuhörte. Mit schmerzhafter Deutlichkeit wurde ihr bewusst, wie einsam sie im Grunde war. Sie richtete sich auf. »Wollten Sie mir nicht etwas zeigen?«
    Kore sah sie aus seinen unergründlichen Augen an. »Verzeihen Sie, wenn ich zu neugierig war. Das war unhöflich.«
    Sie winkte ab. »Meine Schuld. Ich hätte Sie nicht mit meinen Problemen langweilen sollen. Aber es tut gut, sich mal wieder mit jemandem zu unterhalten.«
    Er lächelte. »Darf ich Ihnen noch einen Tee anbieten?«
    »Vielen Dank. Genug für mich.«
    »Gut. Dann wollen wir gehen. Es ist nicht weit.« Der Targi klatschte in die Hände. Augenblicklich waren die Hunde wieder da. Kore stand auf und verließ mit Hannah den Schatten des Zeltes.
    Sofort bildeten sich Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Es war noch nicht einmal Mittag und bereits so heiß, dass man sich auf dem Geröll die bloßen Füße verbrennen konnte. Kore ging mit weiten Schritten voraus und steuerte eine enge Stelle zwischen den Felsen an. Die Hunde schlüpften als Erste hindurch, dicht gefolgt von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher