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Being

Titel: Being
Autoren: dtv
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|5| Eins
    E s muss so gegen halb zehn gewesen sein, als sich die Tür zum Wartezimmer öffnete und der Mann mit den sandfarbenen Haaren und dem Klemmbrett in der Hand hereinkam. Mein Termin war eigentlich für neun angesetzt gewesen, also hatte ich bereits eine Weile gewartet, doch ich war nicht besonders in Sorge deswegen. Ich glaube, ich fühlte mich nur einfach ein bisschen ängstlich, und das Krankenhaushemd hatte etwas an sich, das ein seltsames Unbehagen in mir auslöste, aber ich lief nicht im Zimmer hin und her oder kaute an den Fingernägeln und so. Ich stand bloß am Fenster, schaute hinaus auf das Krankenhausgelände und versuchte, mich zu beruhigen, dass schon alles in Ordnung sein würde.
    Es war schließlich nur eine Routineuntersuchung.
    Das Einzige, was sie tun würden, war, mir einen Schlauch durch die Kehle zu schieben und einen gründlichen Blick in meinen Magen zu werfen.
    Worüber sollte ich mir also Sorgen machen?
    »Robert Smith?«, sagte der Mann an der Tür und blickte von seinem Klemmbrett auf.
    Ich weiß nicht, warum er fragte, schließlich war ich der Einzige |6| im Zimmer. Aber wahrscheinlich musste er einfach irgendwas sagen.
    Ich sah ihn an.
    Er nickte mir zu. »Hier lang, bitte.«
    Ich folgte ihm aus dem Wartezimmer und er führte mich durch einen langen weißen Gang. Ich war mir nicht sicher, was er war – Krankenpfleger, Verwaltungsangestellter, irgendeine Art Assistent –, doch er trug einen Krankenhauskittel mit einem an der Tasche befestigten Namensschild, also ging ich davon aus, dass er wusste, was er tat. Er lief schnell, mit energischen kleinen Schritten, und wie wir so über den gebohnerten Fußboden eilten, hatte ich ziemliche Mühe mitzuhalten. Zum Gehen war es zu schnell und zum Rennen zu langsam. Ich hetzte hinter ihm her.
    »Dr. Andrews wird die Endoskopie durchführen«, erklärte er mir über die Schulter blickend. »Der macht das sehr gut.« Er lächelte beruhigend – ein kurzes, berufsmäßiges Lächeln. »Also kein Grund zur Sorge. Ehe du was merkst, ist schon alles vorbei.« Ich warf ihm einen Blick zu – halb lächelnd, halb schulterzuckend –, um ihm zu zeigen, dass ich mir gar keine Sorgen machte. Doch er hatte sich schon wieder seinem Klemmbrett zugewandt und marschierte weiter den Gang entlang.
    Ich wischte die schwitzigen Hände an meinem Kittel ab und folgte ihm.
    Am Ende des Gangs hielt er vor einem grünen Vorhang abrupt an, schoss herum und sah mich an. Stolpernd kam ich vor ihm zum Stehen.
    »Huch, Entschuldigung«, murmelte er und linste auf sein Klemmbrett. »Ich muss nur noch … ähm … Entschuldigung, mir |7| ist da gerade was eingefallen.« Einen Moment blickte er düster vor sich hin, dann sah er auf und lächelte mich verkniffen an. »Dauert nur eine Minute.«
    »Ähm … ja gut«, fing ich an. »Was soll ich …?«
    Doch ehe ich den Satz beenden konnte, wandte er sich schon um, lief davon und ließ mich vor dem grünen Vorhang stehen. Ich fingerte nervös am Saum meines Kittels herum und wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich verschränkte die Arme, löste sie wieder, legte sie auf den Rücken.
    Ich ging ein bisschen hin und her.
    Ich schaute mich um.
    Ich blieb stehen und starrte zu Boden.
    Ich hörte gedämpfte Geräusche hinter dem grünen Vorhang. Gesenkte Stimmen, medizinisches Gemurmel, das Gescharre kurzer Schritte. Vorbereitungen. Das Klirren und Klimpern von Instrumenten. Ich horchte genau und versuchte, mir zu überlegen, was da ablief, doch ich konnte mir nichts vorstellen. Es waren bloß Krankenhausgeräusche.
    Ich rieb mir die Augen.
    Ich kratzte mich im Nacken.
    Ich ging wieder ein bisschen hin und her und starrte weiter den Fußboden an.
    Ich starrte abermals zu Boden.

    Zeit verging. Sekunden, Minuten …
    Nichts geschah.
    Das ganze Krankenhaus um mich herum war in Bewegung. Helfer, Schwestern, Patienten, Ärzte, Männer und Frauen in Anzügen. |8| Alle waren beschäftigt.
    Ich stand da und wartete.

    Als der Mann mit den sandfarbenen Haaren schließlich zurückkehrte, hielt er einen großen braunen Umschlag in der Hand. »Tut mir leid«, sagte er leicht außer Atem.
    Ich sah ihn an und fragte mich, ob der Umschlag etwas mit mir zu tun hatte. Wenn, dann sagte er es zumindest nicht.
    »Also dann«, meinte er und schob den grünen Vorhang zurück. »Auf geht’s.«

    Der kleine Raum hinter dem grünen Vorhang war eigentlich gar kein richtiger Raum. Er glich mehr einem kurzen weißen Gang. Einer Kammer. Einem Zwischenort.
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