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Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Titel: Der Tote vom Silbersee (German Edition)
Autoren: Ursula Schmid , Christine Schneider
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schwarz. Lena schenkte Tee in zwei Becher ein und warf vier Würfelzucker in Andys Tasse. Sie stellte eine Tasche zwischen ihre Beine auf den Boden. Sofort begann Lord zu wedeln. Der Portier Alois hatte ihr einen großen Knochen besorgt; armlang und so breit wie ein Klodeckel. Lena packte den Knochen aus und überreichte ihn Andy. Der streifte seinem Hund den Maulkorb ab und Lord schnappte nach dem Mitbringsel. Es war ein unangenehmes Geräusch, als der Hund den Knochen mit seinem Kiefer zermalmte, als sei er ein dünner Stab.
    »Siehst du, Lena, so macht er es auch mit seinen Gegnern«, sagte Andy. Es blitzte so etwas wie Stolz in seinen wässrig blauen Augen auf.
    Lena schwieg vorsichtshalber, denn sie wollte sich nicht auf eine Diskussion einlassen. Sie ahnte, was Andy damit meinte. Sie wusste nur eines: Alleine wollte sie dem Hund nicht begegnen. An Lenas Gesichtsausdruck schien er dennoch ihre Meinung abzulesen.
    »Weiber, alles Weicheier!«, trompetete der Punk. Er nahm die Tasche auf und schüttelte den ganzen Inhalt auf die Parkbank.
    »Salami, Brot, Cola. Wo sind die Zigaretten?«, maulte er. Lena schwieg, übte sich in Selbstbeherrschung.
    Zwanzig Jahre Arbeit mit auffällig gewordenen Jugendlichen – das prägte. Hier kam man nur mit Ruhe und Geduld weiter. Lena machte eine einladende Geste; ließ sich aber nichts anmerken ob der Unverschämtheit.
    »Bist eine komische Nummer«, matschte Andy zwischen seinen Zähnen hervor. Er biss von der Salami ab und schmatzte laut.
    »Das sagt der Richtige«, gab sie schmunzelnd zurück.
    »Spießerin!«
    »Stehpinkler«, gab sie kontra.
    »Volksverdummerin.«
    »Kaugummi-Macho.«
    Andy begann zu glucksen und rief. »Okay, okay, heute hast du gewonnen!«
    Lena traf Andy nun jeden Tag. Manchmal gingen sie ein paar Schritte zusammen. Die Gespräche mit ihm zeigten ihr, dass er intelligent war. Sie diskutierten stundenlang. Lena verstand: Andy war fertig, fertig mit sich und der Welt, erwartete nichts mehr, gar nichts mehr! Nach diesen Gesprächen war Lena oft traurig. Was hatte dazu geführt, dass der junge Mann so abgestürzt war? Würde es ihr gelingen, ihm zu helfen? Würde er sich überhaupt helfen lassen? Lena mochte ihn. Das Schicksal hatte sie – vielleicht nur für eine kurze Weile – zusammengeführt.
    Andy wartete auf Lena. Er wusste, dass sie am späteren Nachmittag, nach dem Ende des Seminars mit Trixi zum Dutzendteich kam und ihre Runde um die Seen drehte. Oben auf dem Silberseehügel machte sie immer Rast und genoss den tollen Blick über die Stadt Nürnberg.
    »Was fasziniert dich so am Silbersee?«, fragte Andy und ließ dabei seine Zahnlücke sehen. Die Gel-Frisur glänzte in der Sonne.
    »Weißt du, dass der ganze Hügel aus dem Dreck von den zerbombten Häusern des Zweiten Weltkrieges aufgeschüttet worden ist? Du sitzt also auf Tod, Elend und Blut«, sagte Andy nachdenklich.
    »Was du alles weißt!«, meinte Lena ehrlich überrascht.
    Andy grinste und schob sich eine Handvoll Chips in den Mund. »Wenn du im Silbersee schwimmen willst, vergiss den Sarg nicht!«
    »Danke, kein Bedarf, hab die Warnschilder gelesen!«
    Der Junge spreizte den Zeigefinger ab und kratzte sich nachdenklich am Kopf.
    »Ist schon komisch, in diesem Dreckshügel haust immer noch der Tod.«
    »Du meinst, weil all dieser Müll seine Verrottungsgase in den See abgibt?«, antwortete Lena.
    Andy nickte. »Hitler hat eine Baugrube ausheben lassen für sein Deutsches Stadion . Nach dem Weltkrieg entsorgten die Nürnberger dort ihren Sondermüll, Schutt und auch Kampfstoffe. Deshalb stehen hier überall Warnschilder. Schwefelwasserstoff wird immer noch in den See abgegeben. Hochgiftig das Ganze. Auf dem ganzen Müll errichtete man einen Hügel, den die Leute Silberbuck nannten. Die dachten wohl, sie brauchen einen tollen Namen für so eine Scheiße! So was kennt ihr wohl in eurer sauberen Schweiz nicht?«
    Andy schwieg erschöpft, gerade so, als wenn ihn diese Rede ausgelaugt hätte. Dann setzte er die Flasche Cola an und trank in gierigen Zügen.
    Lena grinste. »Na ja, die Schweiz ist auch nicht mehr das, was sie einmal gewesen ist. Auch im Schweizerländle hat der Fortschritt«, sie betonte das Wort, »Einzug gehalten.«
    Andy nickte leicht. Sein Blick schweifte in die Ferne.
    Plötzlich trat er zur Seite. Lord zerrte an der Kette und Trixi begann, hysterisch zu kläffen.
    Andy taxierte Lena mit zusammengekniffenem Mund. Ohne ein Wort zu sagen, ging er mit großen Schritten in
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