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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen
Autoren: Katrin Koppold
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Bis vor einiger Zeit war ich ein richtiger Glückspilz. Als Redakteurin eines Boulevardmagazins jettete ich um die Welt, mein Freund Sam sollte bald die Apothekenkette seines Vaters übernehmen und ich hatte jede Menge Designerklamotten in Größe 36 im Schrank.
    Doch dann fiel Sam aus heiterem Himmel ein, dass er sein weiteres Leben unmöglich damit verbringen konnte, Potenzmittel und Klosterfrau Melissengeist zu verkaufen, ich wurde schwanger und von diesem Moment an ging einiges schief. In den meisten Kleidern sah ich aus wie eine zu fest gestopfte Weißwurst, mein Job wuchs mir zunehmend über den Kopf und Sams Macken hatte ich leichter ertragen können, als er noch nach Geld und Macht und Klosterfrau Melissengeist gerochen und wir nicht nur an Sonn- und Feiertagen miteinander geschlafen hatten. Die einzig positive Veränderung in meinem Leben war mein Sohn Paul. Ach ja! Und die Tatsache, dass mich die meisten Frauen lieber mochten, seitdem ich Mutter war und einen BMI von über 20 hatte.
    „Fee! Nicht einschlafen!“ Meine Schwester Helga rammte mir den Ellbogen in die Rippen. „Lilly und Torsten schneiden die Hochzeitstorte an.“
    Ich fuhr erschrocken hoch, sodass Paul auf meinem Schoß gefährlich ins Schwanken geriet.
    „Sind die zwei Bären nicht niedlich?“ Helgas Augen leuchteten. Ich musterte sie zweifelnd. Der dreistöckige und mit vielen Rosen verzierte Tortentraum war an sich schon an Kitsch kaum zu überbieten. Doch das dicke Bärenbrautpaar auf der obersten Etage setzte dem Ganzen im wahrsten Sinne des Wortes noch die Krone auf. „Meinst du das ernst?“
    Helga bedachte mich mit einem mahnenden Blick. „Kannst du dich nicht einfach für Lilly freuen?“
    „Aber ich freue mich für Lilly.“ Ich schnipste ein rotes Konfettiherz vom Tisch.
    „Ich finde diese Hochzeit romantisch!“
    Ich verdrehte die Augen. „Romantisch wäre sie mit Ryan Gosling oder Bradley Cooper an ihrer Seite, meinetwegen auch mit Prinz William. Aber mit Torsten … Lillys Geschmack lässt nicht nur in puncto Dekoration und Kleidung zu wünschen übrig.“
    „Du bist unmöglich!“ Helga wandte sich ab, um unserer kleinen Schwester dabei zuzuschauen, wie sie ihren frischgebackenen Ehemann mit einem Stück Torte fütterte.
    Die Schwangerschaft bekam ihr nicht. Nicht nur, dass ihre Hand fest mit ihrem immer runder werdenden Babybauch verwachsen war, in letzter Zeit benutzte sie ständig Wörter wie „süß“ und „niedlich“ und sie hatte außerdem eine für sie völlig untypische Vorliebe für Pastelltöne entwickelt. Aber gut! Vielleicht verhielt ich mich tatsächlich etwas negativ.
    Dabei hatte ich mich anfangs gut gehalten. Die Tauben, die aufsteigenden Herzluftballons, die lilafarbene Tischdeko, noch nicht einmal als Lilly Torsten vor allen Anwesenden mit Bärchen ansprach, zuckte ich mit der Wimper. Aber nach einer Nacht mit einem Nettoschlafgehalt von maximal vier Stunden und einem sündhaft teuren Kleid, das Kürbis-Karotten-Handabdrücke zierten, ging mir die zuckrige Atmosphäre dieser Hochzeit zunehmend an die Substanz. Ich schielte unauffällig nach links, um zu sehen, ob sich Milla, unsere Mutter, auf Helgas Seite schlagen und ebenfalls ihren Senf dazugeben würde. Doch die war zu sehr damit beschäftigt, meinen Vater mit giftigen Blicken zu bombardieren. Der weigerte sich nämlich nicht nur beharrlich, mit ihr das Tanzbein zu schwingen, er tippte unter dem Tisch auch permanent auf seinem Handy herum und bildete sich ein, dass niemand von uns etwas bemerkte. Die gefühlsschwangere Luft im Saal schien nicht auf jeden überzuschwappen. Denn was auch immer meine Eltern noch miteinander verband, Liebe war es wahrscheinlich nicht mehr.
    Ich blickte auf Sam, der mit Helgas Freund Nils an der Bar stand. Bei ihm war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, die wahre Liebe gefunden zu haben, als sich noch kein pausbäckiger Kerl im Ganzkörperanzug in die Bettritze zwischen uns gedrängt hatte. Sam bemerkte, dass mein Blick auf ihm ruhte, und lächelte mich an. Ich verzog die Mundwinkel ein wenig nach oben und wünschte, es wäre alles so wie früher.
    Aber ich sollte nicht jammern. Paul sah so niedlich aus, wie er mit hochkonzentriertem Gesicht auf meinem Schoß saß und den Korken einer Sektflasche untersuchte. Niedlich! Herrje! Jetzt benutzte ich dieses Wort schon selbst. Die liebesdurchtränkte Atmosphäre dieser Hochzeit musste mir das Gehirn vernebelt haben. Überhaupt fühlte ich mich den ganzen Tag über
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