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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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    »D AS GRÖSSTE S CHWEIN ist der Mensch«, hat seine Mutter immer gesagt. Mittlerweile weiß der Metzger, dass diese Erkenntnis vor allem das Schwein beleidigt. Ganz abgesehen davon: So eine Sau schwitzt nicht, sie legt sich niemals ungeschützt in die Sonne, und es entspricht ihrem natürlichen Verhalten, immer dasselbe Plätzchen zum Erledigen ihres Geschäfts zu frequentieren. Menschen hingegen hinterlassen es überall, mit Vorliebe im Leben der anderen.
    Eine Wagenladung Krempel, die bei Nacht und Nebel in einen fremden Sperrmüllcontainer hätte wandern sollen, kann also durchaus vom rechten Weg abkommen und sich als kleines Häufchen Elend vor die Werkstatt eines Restaurators verirren. Fluchend betrachtet Willibald Adrian Metzger das Werk seiner Artgenossen. Wenn unter all dem Ramsch, den er bisher mühselig mit seinem Freund, dem Hausmeister Petar Wollnar, und dessen Pritschenwagen zu entsorgen hatte, wenigstens ein einziges Mal eine Rarität zu finden gewesen wäre! Aber nein, die Menschen überlegen sich eben nicht nur sehr genau, was sie wegschmeißen, sie sind in ihrem Überfluss auch noch geizig. In Kellern oder auf Dachböden vermodernde wertvolle Antiquitäten gäbe es nämlich zuhauf
    So nimmt der Tag also seinen unerfreulichen Lauf, jetzt, wo dem Willibald beruflich ohnedies gewaltig der Hut brennt. Es dauert, bis all der Unrat in den Hof geräumt ist, und wie der Metzger schließlich schweißgebadet das vorletzte Stück, eine tapezierte Kastentür, anhebt, eröffnet sich ein unverhoffter Anblick. Da amüsiert sich das Schicksal heute ja offenbar ganz besonders auf seine Kosten, so ein entsetzliches Abfallprodukt der Sechzigerjahre anzuliefern. Eines, das er aus Geschmacksgründen eigentlich gerne wegschmeißen würde, aus beruflichem Ethos aber nicht wegschmeißen darf. Für den Müll ist dieser hässliche schwarz lackierte Barschrank mit schwenkbarer weiß beschichteter Deckplatte, integriertem Kühlschrank und versenkbarem Tablett eindeutig zu schade.
    Jetzt hat er also sein Fundstück.
    Widerwillig schleift der Metzger diese ihm zugedachte Designernotdurft in seine Werkstatt und widmet sich endlich seiner Arbeit. Und die könnte unerfreulicher nicht sein.
    »So etwas mach ich nicht!«, wäre die richtige und vor allem ehrliche Antwort gewesen. Aber nein, ein: »Gerne, Frau Pollak« ist es geworden. Was hätte er auch tun sollen?
    Ein Restaurator muss sich um jeden seiner Auftraggeber bemühen, vor allem um die einträglichsten. Und weil das eben so ist bei den großen Geschäften, dauert es nicht lange, und es geht los mit den kleinen Gefälligkeiten: »So viel lassen wir bei Ihnen herrichten. Da bin ich mir ganz sicher, Sie können diese Kleinigkeit zwischendurch einfließen lassen!«, hat sie herablassend gemeint, die Frau Pollak. Das Einzige, was Willibald Adrian Metzger während der Arbeit zwischendurch einfließen lässt, ist ein gutes Achterl Rotwein.
    Außerdem, was heißt Kleinigkeit? Gerade die Kleinigkeiten samt der dafür notwendigen Feinmotorik kosten einen Restaurator Zeit, auch wenn, wie in diesem Fall, das Ergebnis unnötiger nicht sein könnte. Der Metzger wüsste sich nämlich wirklich eine sinnvollere Tätigkeit, als mühsam zwei abgebrochene Pfeile eines geschnitzten, an einen Stamm gefesselten heiligen Sebastian nachzubilden, nur damit der arme Kerl, wenn er als originelle Fünfziger-Überraschung in die Kanzlei Dr. Michael Pollak darf, einen schönen amtlich durchbohrten Eindruck hinterlässt.
    Jetzt legt der Metzger aber grundsätzlich eine Gründlichkeit an den Tag, da könnten sich jene großen Zauberer, die innerhalb einer Legislaturperiode staatliche Gelder gründlich ins Nichts verschwinden lassen und wie aus dem Nichts diesen Geldern folgen, ein Beispiel nehmen. Folglich ist es am Spätnachmittag vorbei mit seiner Geduld. Verärgert schmeißt er das kleine Schnitzeisen auf die Werkbank, blickt sich mürrisch um, sieht den längst fälligen Gründerzeit-Schreibtisch einer verliebten Witwe, den wartenden Biedermeiersekretär eines ehemaligen Obersten und – den Barschrank.
    Und weil sich so ein Stiefkind ja hervorragend dazu eignet, für diverse Unannehmlichkeiten sein Köpfchen hinhalten zu müssen, beschließt der Restaurator, nach einem Tag voll ärgerlicher Zeitvergeudung, entsprechend Hand anzulegen. Wie besessen beginnt er also die Deckplatte aufzupolieren. Der Schweiß tropft ihm von der Stirn, als säße er in der Sauna auf dem obersten Bankerl. Hurtig
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