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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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der Reihe der angetretenen Teilnehmer leer. Da unternimmt sie lieber einen Spaziergang oder einen kurzen Badeausflug.
    Schwimmen geht die Djurkovic mittlerweile ausschließlich in den See, auch wenn der in diesem bis jetzt kläglich versagenden Sommer nur knapp an der Einundzwanzig-Grad-Marke kratzt. In das Becken des hauseigenen Hallenbads mit seinen unzähligen Sprudeln und Springbrunnen setzt sie nämlich keinen Fuß mehr, die Danjela, denn wer niemanden zum Kuscheln findet, kuschelt dort mit den Düsen.
    Prof. Dr. Berthold, medizinischer Leiter des Kurhotels Sonnenhof, dem selbst angesichts seines Räusperticks ein betreuter Urlaub in einem Psychosomatik-Therapiezentrum recht gut täte, hat der Djurkovic zwar während eines Vieraugengesprächs streng erklärt, die Unterwassertherapie mit ihrer einzigartigen Mischung aus Auftrieb und Widerstand sei eine der Grundsäulen der Rehabilitation. Die Danjela hat daraufhin jedoch gemeint: »Grund für meine Widerstand, Herr Doktor, ist gerade wegen einzigartige Auftrieb! Bei dem, was da kommt an Oberfläche oder was schwimmt in Wasser, bin ich mehr krank nach Wassertherapie als vor Wassertherapie!«
    Was den einzigartigen Auftrieb betrifft, wird die Djurkovic noch ganz schön ins Strudeln kommen, auch ohne Düsen.
    Zum Glück hat da am dritten Tag ihres Aufenthalts eine Düse der ganz anderen Art ihre Bahn gekreuzt: Helene Burgstaller. Und das beinah im rechten Winkel. Denn bei der mit geschlossenen Augen durchzuführenden einbeinigen Gleichgewichtsübung im Gymnastikraum ist dieses schlagfertige Prachtweib nach einigen verzweifelten Ruderbewegungen quer auf der ausgerollten grünen Schaumstoffmatte vor der Djurkovic zum Liegen gekommen.
    »Schade, dass wir sind nur Frauengruppe, hätten Männer sicher große Freude mit so bereitwillige Umfaller auf Matratze!«
    »Das wäre für mich dann allerdings wieder eine Übung mit geschlossenen Augen. Denn mit offenen ist mir in diesem Haus die Aussicht auf Sie bedeutend lieber!«, so die Antwort der Burgstaller und der Beginn einer wohltuenden, von übereinstimmendem Sarkasmus dominierten, sehr begrenzten Lebensabschnittspartnerschaft.
    Seither betreiben die beiden zu zweit, in einem Eck des gigantischen Speisesaals sitzend, als kleinstmögliche Selbsthilfegruppe dreimal täglich eine nicht zu überhörende Unterhaltungstherapie, lautstark ihre eigene Grundsäule der Rehabilitation demonstrierend: Lachen ist die beste Medizin.
    Und weil aus diesem Winkerl ein stetes Prusten und Gackern über die Köpfe der Anwesenden hinwegfegt, hat sich der Bekanntheitsgrad der beiden mittlerweile flächendeckend auf den Speisesaal und somit das gesamte Kurhotel ausgebreitet.
    Was abermals zu einem Gespräch, diesmal unter sechs Augen, mit Prof. Dr. Berthold und einer weiteren Ergänzung der Djurkovic-Rehabilitationsgrundsätze geführt hat: Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert. Bei Danjela betrifft diese Schamlosigkeit hauptsächlich die Einhaltung, oder eigentlich die Nichteinhaltung, der Hausordnung. Ungeniert im eigentlichen Wortsinn leben nach wie vor eher die triebgesteuerten Kurgäste. Und während die Allgemeinheit zu später Stunde in den Gemeinschaftsräumen herumhängt, an der Hausbar ein Gläschen trinkt oder sich zur Ruhe oder wohin auch immer legt, durchquert die Djurkovic heimlich das leere Hallenbad, schleicht durch den Wellnessbereich, betritt den angrenzenden Ruheraum, setzt sich mutterseelenallein in eine der fulminanten Entspannungsliegen und beobachtet die Fische in dem überdimensionalen Salzwasseraquarium. Seit dem zweiten Abend ihres Aufenthalts betreibt sie diese kleine Unanständigkeit gegenüber der Sperrzeit des Badebereichs.
    So auch heute. Eine beinah gespenstische Stille liegt über dem spiegelglatten Schwimmbecken. Dezent quietschend verhallen die Schritte ihrer Gummibadeschlapfen über den sauberen Steinboden. Auffällig sauber, wie Danjela Djurkovic mit ihrem diesbezüglich professionellen Auge bemerkt. So eine Schulwartin ist nämlich nicht nur Stiegenhausdirektorin, Schlapfensheriff oder Nikotinspitzel, sondern auch noch die Putzfrau ihrer Arbeitsstätte – ein wahres Multitaskingtalent. Durchaus mit Bewunderung für die Gründlichkeit der hiesigen Reinigungskräfte registriert die Djurkovic, dass da kein Tropfen am Boden neben dem Schwimmbecken übersehen wurde. Staubtrocken und blitzblank glänzen die braunmelierten Natursteinplatten. Dann öffnet sie die Tür zum Ruheraum und
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