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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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Kants: » Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« Das von Kant verwendete Wort »Leitung« betrachtet der Metzger in diesem Zusammenhang als atemberaubend visionär.
    Danjela Djurkovic beschränkt sich zum Glück auf durchaus nette, kurz gehaltene und vor allem einmalige Tagesendberichte. Außerdem hat sie erklärt, ein ständiges Hin-und-her-Versenden von Kurzmitteilungen käme erst gar nicht in Frage und wäre langfristig eingeführt nichts anderes als die unsoziale Einladung, aus Desinteresse oder mangelnder Courage mit dem anderen irgendwann gar nicht mehr sprechen zu müssen. Weitaus häufiger als zur Liebes- und Sympathiebekundung werde dieses dämliche Herumgetippse nämlich genutzt, um doch noch das letzte Wort zu haben, Lügen zu verbreiten, Termine abzusagen, Mitarbeiter zu kündigen und Beziehungen zu beenden, kurz, um sich zu schreiben, was man nicht sagen will. Heilfroh ist er, der Willibald, dass er sich diese Fingerübung erspart.
    Besorgt hebt der Metzger ab, wobei ihm einmal mehr bewusst wird, dass die Entwicklung der Sprache nicht immer mit dem Entwicklungstempo der Technik mithält. »Abheben« kann man ein Mobiltelefon nicht, nur auf diese winzige Taste mit dem grünen Hörersymbol drücken, und das ist für Mobilfunkanfänger zu vorgerückter Stunde wirklich keine Kleinigkeit.
    »Ja, Danjela! Ist was passiert, geht es dir nicht gut?«
    »Nicht so gut, nein.«
    Der Metzger weiß es, er weiß, dass er längst schon einen Besuch zumindest hätte ankündigen müssen. Und jetzt sieht er am anderen Ende der Leitung, die in Wahrheit genauso wenig eine Leitung ist, wie man das Mobiltelefon abheben kann, auch noch das moralisch Unausweichliche auf sich zukommen. Dem Ruf seines Herzens entsprechend, reagiert er prompt: »Ich werd dich am Wochenende besuchen kommen, Danjela. Bevor du dir den Trost woanders suchst! Versprochen.«
    »Musst du nicht, hast du gerade so viel Arbeit!«
    Wehe, man nimmt sich diese verbal dargebotene Freiheit und setzt so ein »Musst du nicht« in die Tat um. Augenblicklich wird da ein beleidigtes »Brauchst du auch nicht mehr« draus. Versteht sich von selbst, dass der Metzger die einzig angemessene, ja einzig mögliche Reaktion eines wahrhaftig Beziehungswilligen abliefert: »Stimmt schon, Fräulein Djurkovic, dass ich nicht kommen muss. Aber wollen tu ich, wollen !«
    Leider kann der Metzger jetzt nicht sehen, wie zufrieden sich die auf ihrer Zwei-mal-zwei-Meter-Matratze liegende Danjela aus der Rücken- in die Seitenlage dreht und mit der freien Hand das Kopfkissen der leeren Bettseite an ihre üppige Brust drückt.
    Beinah hätte sie dank ihrer aufwühlenden Vorfreude das eben Geschehene vergessen, wäre da nicht berechtigterweise die folgende Frage aufgetaucht: »Jetzt erzähl mal, verlassenes Prachtweib, warum geht es dir zu so später Stunde nicht gut?«
    »Na, geht mir eigentlich eh gut in Vergleich zu Mann, der gerade geschwommen in Schwimmbassin, wie bin ich gegangen von Liege zurück in Zimmer. Nackert!«
    »Was, du bist nackt vom Ruheraum in dein Zimmer gegangen?«, erhebt der Metzger erstaunt seine Stimme.
    »Bist du gefallen aus allen Wolken! Mann war nackert in Schwimmbassin. Nackert und tot!«
    »Du meine Güte!« Der Metzger kommt ins Stocken: »Was, was, was … Hast du wen verständigt?«
    »Notfallknopf! Rettung gleich gekommen, obwohl, viel hat nicht mehr retten können, die Rettung!«
    Dann schildert die Djurkovic ausführlich, wie prächtig das alles harmoniert und entsprechend aufs Gemüt schlägt: eine als Kuranstalt getarnte Partnervermittlungsbörse in einer völlig verlassenen Gegend inmitten eines weitläufigen Waldgebiets am Ufer eines einsamen Sees. Da könne man ja nur ins Wasser gehen.
    »Morgen bin ich da«, kommentiert der Metzger diese schaurigen Aussichten, ohne sich im Klaren zu sein, was das rein logistisch für ihn bedeutet.
    »Keine Kleider, Willibald. Sind nicht einmal Bademantel und Handtuch gelegen in Hallenbad, oder Wassertropfen! Muss er gekommen sein wie geschaffen von Herrgott. Entweder wegen Techtelmechtel oder wegen Selbstmord oder mit Leichentransport wegen Matrosenbeerdigung!«
    »Danjela! Da ist einfach wer ertrunken, und du hattest leider das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Mehr ist das nicht.«
    »Falsche Ort zu falsche Zeit kann auch sein richtige Ort zu richtige
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