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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd
Autoren: Thomas Raab
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bewegen sich seine kräftigen Arme über die Oberfläche, bis er schließlich seinem Spiegelbild gegenübersteht: wohlbeleibt, in der zweiten Hälfte seines Lebens und allein. Bis auf das Alter hat er alles sich selbst zu verdanken, sein Übergewicht und sein Strohwitwerdasein.
    Niedergeschlagen macht er sich nach getaner Arbeit auf den Heimweg. Es folgen eine ausgiebige Dusche, die nichts von seiner Schwermut wegwäscht, und ein diesbezüglich, so hofft er zumindest, erfolgreicherer Blaufränkischer. Willibald Adrian Metzger hockt in seinem Chesterfieldsofa und bemitleidet sich selbst. Mit dem Alleinsein ist es anders als mit dem Radfahren. Es ist verlernbar, und bei plötzlichem Auftreten bringt es uns aus dem Tritt. Niemals hätte er sich in seiner erst kurz zurückliegenden Existenz als Einzelgänger vorstellen können, eines Tages mit so einem Auf-sich-selbst-geworfen-Sein nichts anfangen zu können. Die Schulwartin Danjela Djurkovic und er leben zwar nicht zusammen, füllen ihre eigenen Kühlschränke und Speisekammern, haben zwar die Ersatzschlüssel zur Wohnung des anderen, sehen sich beinah täglich, nächtigen trotzdem unter der Woche jeder für sich im eigenen Doppelbett, und doch sind sie verbunden mit einer nicht mehr wegzudenkenden Selbstverständlichkeit, mit einer Ahnung von »Bis dass der Tod euch scheidet!«.
    Wie sehr er sie vermisst. Denn jetzt ist sie weg, die Djurkovic, genauso wie ihr Hund, und dem Metzger bleiben nur das Selbstmitleid, der Rotwein und die Arbeit.
    2
    WAS GIBT ES S CHÖNERES als den geregelten Müßiggang, als die servierte Befriedigung aller Grundbedürfnisse inklusive professioneller medizinischer Betreuung? Und all das mitten im Grünen, vor glasklarem Binnengewässer am Fuße silbrig glänzender Berge.
    Natürlich gibt es etwas Schöneres. Etwas Schöneres gibt es immer, und wenn etwas zur Gewohnheit wird, ist es ohnedies vorbei mit der ganzen Pracht. Frühstücks-, Mittags- und Abendbüfett, Massage-, Physio- und gelegentliche Psychobehandlungen, lupenreiner Satellitenempfang von über dreihundert Sendern, Leseecken mit breit gefächertem Lektüreangebot, ein monströses Doppelzimmer mit Traumbad inklusive Whirlpool, getrenntem Schlaf- und Wohnraum, beide mit märchenhaftem Blick auf den glasklaren See, und dazu jede Menge alleinstehender Männer – all das wird durchaus jenem Bild gerecht, welches sich Danjela Djurkovic in vergangenen Zeiten vom Paradies auf Erden so ausgemalt hat. Da gab es allerdings den Metzger noch nicht.
    Und jetzt?
    Jetzt hockt sie da, allein, am Ende der Welt, zwischen gigantischen Nadelhölzern inmitten betagter Herren, die mit jeder Geste den Eindruck erwecken, sie müssten die Bereitwilligkeit zum ungezügelten Beweisakt ihrer immer noch intakten Manneskraft zur Schau stellen.
    Partnervermittlung ist ja keineswegs dem Grundsatz der Freiwilligkeit untergeordnet, viel eher gilt: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das fügt dir jemand anderer zu.«
    Das beginnt bei krampfhaft nach Ehepartnern suchenden Müttern, geht über den missionarischen Eifer ungefragt kuppelnder Freunde und endet beim ärztlichen Verordnungsschein zum Kuraufenthalt.
    Begeistert war sie also nicht über diese Zuweisung, die Djurkovic, vor allem nach ihrem ohnedies so langen Spitalsaufenthalt: »Gerade jetzt, wo bin ich zu Hause bei diese Metzger-Einzelgänger! Is nix gut, vielleicht kriegst du wieder Gusta auf Einsiedelei?« Verschmitzt und mit unterwürfigem Blick hat die Danjela dem Willibald zugelächelt, vielleicht in der Hoffnung auf ein: »Bleib doch zu Hause, die beste Kur erhältst du ohnedies bei mir!«
    Ohne Erfolg. Die alternative Metzger-Antwort dürfte ihr aber dennoch trotz der vorhandenen Nüchternheit irgendwie geschmeichelt haben: »Glaub mir, bevor ich dich nach einer Kur sitzen lass, passiert das eher umgekehrt!« Als hätte der Willibald bereits geahnt, wie sehr bei so einem Erholungsaufenthalt in der Wildnis das Wildern im Zentrum steht.
    Die ersten zwei Wochen waren also für die Djurkovic trotz himmlischer äußerer Bedingungen die Hölle. So viele Komplimente, Aufwartungen und Einladungen, allesamt vorgetragen mit schmierigem Lächeln, hat die Danjela selbst in ihren besten Jahren nicht erhalten. Alles, was sie bisher dabei empfunden hat, war eine tiefe Sehnsucht nach einer Welt ohne Zahnprothesen.
    Wenigstens fehlt es der Djurkovic nicht am Mut zur Lücke. Bei Gruppentherapien, diesem Schaulaufen vor versammelter Klientel, bleibt ihr Platz in
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