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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen
Autoren: Susanne Hanika
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    Mit einem Mal war es richtig Herbst geworden.
    Ich saß mit geschlossenen Augen auf unserem Bänkchen vor dem Haus und fragte mich, wie es möglich war, dass ich von den Jahreszeiten jedes Mal so derart überrumpelt wurde. Plötzlich schlug man die Augen auf, und es war nicht mehr Sommer. Oder es war am frühen Abend schon stockfinster, wo es doch immer hell gewesen war. Passte ich nicht richtig auf? War ich zu langsam im Denken?
    Ich ließ die Augen zu und versuchte herauszufinden, wie ich jederzeit hätte bemerken können, dass Herbst war. Natürlich, die Luft. Sie war klar und rein und hatte nichts von dem wilden Potpourri der Düfte des Frühlings. Und auch nicht das aromatische Gemisch des Sommers. Es roch bereits etwas nach dem nassen Laub, das sich schmierig übereinanderlegte. So, wie wenn Leben stirbt und zu Erde wird und der Kreislauf wieder von vorne beginnt. Dann natürlich die Sonne. Das hatte meine Großmutter schon immer gesagt.
    »Die Herbstsonne, die wärmt ned richtig«, pflegte sie zu sagen. »Das Gesicht macht’s heiß, aber der Buckl ist kalt. Mädl, zieh dir a dicke Strumpfhosn an.« Dicke Strumpfhosen rangierten bei mir auf der Beliebtheitsskala gleich hinter Hosenträgern und montäglichen Suppen mit großen Zwiebelstücken.
    Und natürlich die Geräusche. Die Vögel schwiegen bereits. Der knisternde Flügelschlag der Libellen war Erinnerung. Selbst den Heuschrecken hatte es schon die Sprache verschlagen. Das Einzige, was ich hörte, war das Quietschen unserer Schaukel, die Großmutter bedächtig anschubste, obwohl kein Kind darauf saß. Heute schwieg sie. Manchmal sagte sie in so einer Situation: »Halt dich gut fest, Kind, dass d’ ned runterrutscht.« Ich öffnete die Augen und beobachtete meine Großmutter ein Weilchen. Sie hatte die Stirn gerunzelt, beobachtete angestrengt die Schaukel, als würde ein Kind darauf herumzappeln und sie sich gerade überlegen, ob sie mit dem Anschubsen lieber aufhören sollte. Wie vor 20 Jahren, als ich es war, die auf der Schaukel herumzappelte, wenn ich herunterwollte. Schließlich begann Großmutter zu summen. Hin und wieder schnappte ich Sätze auf wie: »Mein Los, mein Schicksal ist der Tod. Er ist mir zugedacht, ich kann ihm nicht ausweichen . . . Liebster Gott, wann werde ich sterben.«
    Vielleicht hätte mich das misstrauisch werden lassen sollen. Aber die sonnige Herbststimmung hatte mich so schläfrig gemacht, dass ich an gar nichts dachte, sondern nur froh darüber war, dass Großmutters Beschäftigung heute darin bestand, die Schaukel anzuschubsen und Lieder zu singen. Ich ließ mich, beziehungweise meine Vorderseite, um genau zu sein, von der Sonne durchwärmen und betrachtete das wilde farbenfrohe Durcheinander. Von Grün in allen Schattierungen zu Gelb in diversen Abstufungen, und dazwischen rote Farbkleckse. Das Gras war noch nass und saftig, voller Leben. Und der Wind, der durch die Äste pustete, machte aus dem Bild eine bewegte Landschaft.
    Schließlich hörten das Quietschen der Schaukel und das Singen meiner Großmutter auf. Sie stellte sich mir in die Sonne, dass mir auf einen Schlag kalt wurde, und fragte: »Sag, Mädl. Was machen wir mit der Leich?«
    Ich schloss wieder die Augen. Das soll jetzt nicht hartherzig klingen. Aber im Sommer hatte ich eine Leiche gefunden und jede Menge Ärger gehabt. So viel Ärger, dass ich beschlossen hatte, nie wieder Leichen zu finden. Und wenn doch, mich zumindest schleunigst zu verdrücken und den Leichenfund schnell wieder zu vergessen. Nie wieder meinen ehemaligen Schulfreund Schorsch anrufen und ihm melden zu müssen, was ich gesehen hatte. Der Schorsch ist nämlich Polizist geworden und dadurch der erste Ansprechpartner bei Leichenfunden.
    Außerdem war Großmutter in ihren Aussagen nicht immer hundertprozentig verlässlich. Erst gestern hatte sie behauptet, die Kathl hätte sich ein Gehwagerl kaufen lassen. Großmutter war rechtschaffen empört gewesen: »Die alte Kathl und ein Gehwagerl. Als wenn s’ ned noch allein gehen könnt. Und wer zahlt’s wieder? Wir. Die Krankenkassen sind pleite, nur weil die alte Kathl sich ein Gehwagerl kaufen lässt, auf unsere Kosten. Und dann machen’s bestimmt alle nach.«
    Das mit den Gehwagerln war ins Gespräch gekommen, seit sich die Langsdorferin eines angeschafft hatte und wie Queen Mum durch den Ort schob. Das schwarze Handtäschchen fuhr sie ganz wichtig im Körbchen vor sich her und hielt bei jedem Gartenzaun Audienz. Sonst hatte sie schon
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