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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Prolog
    Die Stille vor den Plattenbaublöcken wird von Motorengebrumm gestört. Mit toten Augen starren die leeren Fenster der Häuser auf die beiden Fahrzeuge, die direkt vor dem mittleren Kubus parken. Vier Männer steigen aus, Bauarbeiter in Blaumännern, mit staubigen Stiefeln. Ihre Helme baumeln an ihren Armen, ihre Gespräche durchbrechen polternd die Stille. Das Haus scheint sich kurz zu schütteln und wirft seine Hitzestarre ab. Vielleicht ist es auch nur das Flirren heißer Luft über dem Betonklotz, der schon morgen abgerissen werden soll.
    Der Größte, ein Zwei-Meter-Hüne, beschirmt die Augen mit der flachen Hand, blickt nach oben und mustert das leerstehende Gebäude, das sie gleich betreten werden, nichts ahnend von dem, was sie dort erwartet.
    Überall liegen Glassplitter herum. In den unteren zwei Stockwerken fletschten die gezackten Ränder eingeworfener Scheiben drohend die Zähne. Der Bautrupp jedoch marschiert unbeeindruckt drauflos, ihre Stiefel wirbeln lehmgelbes Pulver aus ausgetrockneten Pfützen hoch, der Staub scheint eine Weile in der Luft zu schweben und sinkt erst ab, als die vier schon im linken Eingang verschwunden sind.
     
    Den Gestank bemerken sie erst im vierten Stock. Einer zieht ruckartig die Luft ein wie ein schnüffelnder Hund, dann fällt es auch den anderen auf. Eine Wolke aus Verwesung und ranzigem Fleisch, die umso stärker wird, je näher sie dem Ende des Flurs kommen. Die Bauarbeiter schauen sich an, bleiben schließlich stehen, versuchen durch den Mund zu atmen.

    »Wahrscheinlich ein toter Vogel?« Es klingt wie eine Frage.
    »Das will ich hoffen.« Der Zwei-Meter-Mann setzt sich in Bewegung. »Schauen wir nach.« Er glaubt nicht, dass diese massiven Ausdünstungen von einem toten Kleintier verursacht werden. Das, was da verrottet, muss größer sein. An der hintersten Wohnungstür wird der Gestank unerträglich. Der kleine Dicke, der sich gewünscht hat, es möge bloß ein toter Vogel sein, schluckt mehrmals. »Ich kann das nicht.«
    »Dann bleibst du mit Manfred hier draußen.« Der Große hat das Ruder an sich gerissen. Er ist hart im Nehmen. »Holger und ich gehen rein.«
    Holger nickt und streift sich die dicken Handschuhe über, ehe er den Knauf berührt. Die Tür ist nur angelehnt und schwingt langsam nach innen. Ein heißer Schwall faulig-stechender Luft quillt heraus, legt sich wie ein fettiger Film auf die Atemwege. Der Große hustet kurz. »Bringen wir es hinter uns.«
    Aus der halboffenen Badezimmertür surren fette Fliegen. Ihre Körper schillern im Licht in allen Regenbogenfarben. Dem Lärm nach zu urteilen, müssen es Tausende sein. Holger schaut zuerst um die Ecke, prallt zurück. Dann schlägt er die Hand vor den Mund, würgt und taumelt rückwärts. Der Zwei-Meter-Mann denkt noch darüber nach, dass seine Kollegen alle miteinander Weichlinge sind, ehe auch er sieht, was da in der Badewanne liegt, bedeckt von diesem wimmelnden Teppich aus Fliegen und Maden, der den Anschein erzeugt, das verwesende Etwas, das einmal ein Mensch gewesen ist, vibriere im Takt des Summens.

1
    Grell blendeten die aufflackernden Neonlampen. Matthias Hase kniff die Augen zusammen und öffnete sie gleich wieder. Das Kunstlicht verlieh seiner Haut jedes Mal eine kränkliche Farbe, und doch wollte er im Badezimmer keine andere Beleuchtung. Er trat an das Waschbecken heran, seifte die Hände gründlich ein und erwiderte dabei im Spiegel seinen eigenen kritischen Blick. Unter den Augen hatte die Haut einen bläulichen Schimmer. Und es zeigten sich feine Knitterfältchen, die man nur sah, wenn man so dicht vor dem Spiegel stand, dass er beschlug. Sein Mund hatte einen wehmütigen Zug, und Matthias Hase zog probehalber die Mundwinkel nach oben. Weil die Augen nicht mitlächelten, wirkte es ein wenig gezwungen. Er stellte das Wasser ab und griff nach dem Handtuch, ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen. Der vierzigjährige Mann, der ihm entgegenschaute, war attraktiv, ohne schön zu sein. Er hielt seinen Körper in Schuss, trieb regelmäßig Sport und achtete auf seine Ernährung. Seine Haare waren in den Jahren weder schütter noch merklich grau geworden, was daran liegen mochte, dass sie blond waren. Auch von auffälligen Falten war er bisher verschont geblieben. Das Schicksal hatte es gut gemeint mit seinem Äußeren. Ihm fehlte ein bisschen Schlaf, aber das war auch schon alles.
    Nachdenklich ging er zurück ins Wohnzimmer. Es war Zeit für sein abendliches Ritual: zuerst die
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