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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann
Autoren: Clausia Puhlfürst
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ist er umgeschwenkt und hat mir zu erklären versucht, dass seine Methoden dazu dienten, uns zu disziplinieren. Schließlich hätten er und die anderen Erzieher es nicht leicht mit uns gehabt. Was für ein Hohn! Uns, den Kindern, den schwarzen Peter zuzuschieben!
    Das hat mich dann ziemlich wütend gemacht, wie Du Dir bestimmt vorstellen kannst. Als er sein Blut gesehen hat, war es ganz vorbei mit seiner Contenance. Er hat so sehr geheult, dass ihm der Rotz aus der Nase lief.
    Danach war er bewusstlos und ich musste ihn in die Garage tragen. Ich fand es besser, ihn mit seinem Wagen zu transportieren,
der Spuren wegen  – Du verstehst?  – auch wenn das bedeutete, dass ich in der nächsten Nacht zu seinem Haus zurückfahren und seinen dicken Wagen wieder in der Garage parken musste. Kein Problem das Ganze, es gab ja niemanden, der zu Hause auf ihn gewartet hätte.
     
    Vor den Plattenbaublöcken ist er wieder aufgewacht und hat richtig Schiss gekriegt. Wahrscheinlich ahnte er, was in dem leerstehenden Gebäude auf ihn zukommen würde, aber das war genau das, was ich wollte. Ebendiese Furcht vor dem Unbekannten, vor drohenden Strafen, die Angst vor den Schmerzen; Meller sollte genau das fühlen, was wir damals im Vorfeld seiner Bestrafungen gefühlt haben.
    Als wir endlich oben angekommen waren, lief mir der Schweiß in Strömen herunter, und ich musste erst einmal verschnaufen. Mit weit aufgerissenen Augen hat er dann die Badewanne und die Kanister betrachtet. Wahrscheinlich ist ihm erst da wirklich aufgegangen, was gleich mit ihm passieren würde. Trotzdem habe ich mir die Zeit genommen, ihm noch einmal ausführlich zu erklären, was ich mit ihm vorhatte. An seinen Augen konnte ich erkennen, dass er sich erinnerte. Er wusste ganz genau, was er damals mit Dir, mit mir und mit all den anderen im Keller gemacht hatte, auch wenn er fast bis zum Ende alles abgestritten hat.
    Die Badewanne war dem Waschkessel von damals nur entfernt ähnlich, aber das spielte keine Rolle. Meller sah sie, bemerkte das Wasser darin, erblickte die Tücher und Fesseln und wusste, was geschehen würde. Seine Glotzaugen quollen wie zwei trübe Glasmurmeln noch weiter aus dem verfetteten Gesicht hervor.
     
    »Ein Fisch muss schwimmen!«, habe ich zu ihm gesagt, aber er hat mich nur angestiert, das Maul halb offen. Kann es sein, dass er den Spitznamen, den wir ihm verliehen hatten, gar nicht kannte?

    Als sein Kopf das erste Mal unter Wasser tauchte, sah ich die kleine Heike vor mir. Sie war noch nicht mal sechs Jahre alt, als er sie sich das erste Mal geholt hat.
    Dann begann Fischgesicht zu zappeln, und ich drückte seinen Kopf fester unter die Wasseroberfläche.
    Ich habe es gesehen. Als die kleine Heike aus dem Keller zurückkam, war ihr Blick wie tot, und sie ist gelaufen wie einer dieser Blechroboter zum Aufziehen. Es hat Tage gedauert, bis sie wieder mit uns gesprochen hat. Wahrscheinlich erinnerst Du Dich nicht daran, denn Du warst damals ja auch noch ziemlich klein, und ich habe, so gut es ging, versucht, Dich von solchen Erlebnissen fernzuhalten.
    Mellers Zappeln wurde schnell schwächer. Ich zählte bis fünfzehn und zog seinen Kopf dann mit einem Ruck aus dem Wasser. Er röchelte und hustete. Es klang genauso wie bei uns, wenn das Gesicht aus dem Waschkessel auftauchte. Da wusste ich, dass er das Gleiche empfand wie die kleine Heike und all die anderen Kinder, die er aus purer Lust am Quälen gepeinigt hatte. Diese Panik, wenn man keine Luft bekommt, wenn die Kehle immer enger wird, wenn der Brustkorb sich zusammenzieht, wenn man weiß, man muss den Mund geschlossen halten, und es doch nicht beherrschen kann. Dann dieses schreckliche Gefühl, nach Luft zu schnappen und Wasser einzuatmen  – Todesangst.
    Ich gab ihm ein paar Sekunden Zeit, dann drückte ich seinen Kopf wieder unter Wasser. Nachdem wir das viermal wiederholt haben, hat Meller irgendwie aufgegeben. Dann hat er sich nassgemacht. Irgendwann war plötzlich Ruhe. Ich habe ihn noch exakt fünf Minuten untergetaucht, um sicher zu sein, dass er auch wirklich tot war.
    Zum Schluss habe ich das Wasser abgelassen und ihn so da liegen lassen. In einer leeren Badewanne.

    Die nächsten Schritte sind nicht mehr ganz so einfach. Zuerst muss ich die anderen Scheusale finden, eines nach dem anderen. Ich hoffe nur, sie leben noch alle. Einige waren damals ja schon älter. Aber ich schwöre Dir, dass ich alles dafür tun werde, um unsere Rache zu vollenden. ALLES.
    Meine liebe
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