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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat
Autoren: Christa S. Lotz
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1.
    Teresa hielt einen Augenblick lang inne und schaute wie gebannt auf die Flamme der Öllampe. Der Sturm machte eine Pause, vielleicht um Atem zu holen für einen neuen Angriff. Es ächzte und stöhnte in den alten Mauern. Die Flamme zuckte, drohte zu erlöschen und brannte ruhig weiter, als wäre nichts geschehen. Der Regen klatschte gegen die gegerbte Lammhaut, die vor das kleine Fenster des Raumes gespannt war. Teresa nahm die Lampe, goss aus einem Kupferkännchen Rübsenöl nach und verließ die Kammer. Um zur Bibliothek zu gelangen, in der sie gewöhnlich mit ihrem Vater zu Abend aß, musste sie einen düsteren Gang durchqueren. Im Schein des Lichtes sah sie die feucht glänzenden Wände, roch den Modergeruch. Trotz der Mauerstärke hörte sie weit entfernt den Sturm heulen. Sie nahm direkt vor ihrem Kopf eine Bewegung wahr und hielt den Atem an.
    Etwas näherte sich lautlos mit raschen Flügelschlägen und landete mitten in ihrem Gesicht. Teresa schrie auf. Schon war das Wesen wieder weg, aber sie spürte, wie ihr das Blut von den Wangen aufs Kinn tropfte. Rechts und links von ihr schossen weitere geflügelte Gestalten vorbei. Teresa drehte sich um und hob mit zitternden Händen die Lampe. Sie erkannte die großen Ohren und das seidenweiche, braunschwarze Fell der Tiere. Hatten die Fledermäuse hier schon ihr Winterquartier aufgeschlagen und waren durch sie aufgestört worden? Sie wusste, dass es harmlose Säuger waren, die in der Nacht auf die Jagd gingen, Insekten und Kleinlebewesen als Nahrung suchten. Und doch … sagte Ursula, die Köchin, nicht, dass sie Gefährten des Bösen seien?
    Ihr Herzschlag hatte sich wieder beruhigt. Sie wischte sich das Blut aus dem Gesicht und lief schnell die letzten Schritte, bis sie ausdem Gang in eine kleine Halle kam. Sie öffnete die Tür zur Bibliothek. In dem großen Raum hatte der Diener Caspar ein Talglicht entzündet. Im Kamin prasselte ein Feuer aus Buchenholzscheiten. Teresas Vater, Froben von Wildenberg, saß in einem Stuhl mit hoher geschnitzter Lehne vor einem Pult, auf dem ein dickes, schon etwas vergilbtes Buch lag. Teresa liebte den Geruch der vielen Bücher, die an Regalen entlang der Wände aufgestellt waren. Sie rochen nach dem Staub von Jahrhunderten. An einer Seite der Bibliothek war die Wand mit Fresken bedeckt. Froben war in grauen Wollstoff gekleidet; grau waren sein Rock und sein langer Pelz, den er über die Lehne eines Stuhles gehängt hatte. Er blickte ihr aus seinen Augenspiegeln entgegen, die auf seiner Nase klemmten.
    »Du kommst spät, Teresa, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du hast ja Blut im Gesicht!«
    »Ich wurde im Gang von Fledermäusen gestreift.«
    »Ach, du Armes, zeig mal.« Er untersuchte ihre Wunden. »Ich werde gleich die Ringelblumensalbe holen. Wie kommen die Tiere bloß dahin? Sonst ziehen sie sich zum Winterschlaf in die Höhlen der Umgebung zurück. Und natürlich hast du an die Worte von Ursula gedacht, dass sie etwas Böses an sich haben, diese kleinen Biester. Haben sie aber nicht, glaube den Unfug nicht.«
    »Ich glaube, dass sie ein Unheil anzeigen. Heute wird bestimmt noch etwas geschehen.«
    »Und wenn schon! Das werden wir schon meistern, du und ich. Haben wir bisher nicht alles zusammen erreicht, was wir wollten?«
    »Als ich von Krähenstetten zurückkam, stand Wilhelm, unser alter Hakenschütze, im Tor. Der Wind war schon so stark geworden, dass er Äste und Zweige heruntergerissen hatte.«
    »Und? Was hat er gesagt?«, wollte Froben wissen.
    »Er hat gesagt, dass kurz vorher eine Kröte zu ihm hereingekrochen sei, seitdem müsse er immer an sie denken.«
    »Ihr beide messt den Dingen zu viel Bedeutung bei«, brummte Froben. »Sie wird Schutz vor dem Wetter gesucht haben.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte ihr Vater sich zur Tür,ging hinaus und kehrte bald darauf mit einem Töpfchen Ringelblumensalbe zurück. Die kühlende Arznei tat Teresas Haut wohl. Auf dem kleinen, runden Tisch mit den zierlich gedrechselten Füßen war das Familienporzellan für das Abendessen aufgelegt. Auch in diesem Raum hing zum Schutz gegen die nächtliche Kälte eine Decke vor dem Fenster, die sich im stürmischen Wind hin und her bewegte. Ein Kerzenleuchter warf sein Licht auf das Gedeck; es flackerte, wenn eine kühle Böe den Raum durchstrich.
    Teresa setzte sich auf einen der beiden Stühle, ihr Vater tat es ihr nach. Er wandte ihr sein breites Gesicht mit dem gezwirbelten Schnurrbart zu. Ein Lächeln lag in seinen
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