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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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bereit, die Erstattung der durch die Verbrechen des Timm Thode entstandenen Kosten zu übernehmen.“
    Der Großvater, 79   Jahre alt und körperlich gebrechlich, hielt sich an seine Verpflichtungen. Im Zweifelsfall entschied das nunmehr zuständige Amtsgericht in Wilster. Dieses grenzte am 15.   Oktober 1868 durch eine Bekanntmachung den Zeitraum für weitere Anträge auf Schadensersatz, Auslagen oder Nachforderungen ein:
    Alle und jede, welche aus dem Nachlaß aus irgendeinem Grunde Ansprüche oder Forderungen haben, werden mit Ausnahme des Marten Krey aufgefordert, sich innerhalb 12   Wochen hierselbst rechtsbehörig zu melden.
    Königl. Amtsgericht Wilster.
    Das Thode-Anwesen war kein Erbhof. Johann Thode kaufte es 1838. Über die Kaufsumme ist nichts bekannt, wohl aber, dass seine Frau Margaretha als Mitgift neben Schmuck und Tafelgeschirr im Wert von 6000 Talern 10   000   Taler Bargeld in die Ehe einbrachte, was den Kauf des Hofes erleichtert haben dürfte.
    Wie lebten die Thodes auf dem für damalige Verhältnisse stattlichen 40-Hektar Hof?
    Das Anwesen, ein Minikosmos, äußerlich abgegrenzt durch den Stördeich und einen breiten Wassergraben. Unter den Bewohnern war das Dienstmädchen die einzige nicht zur Familie gehörende Person im Haus. Der Alltag war geprägt von körperlicher Schwerstarbeit und dem vom Vater festgesetzten Tagesablauf. Die Arbeit wurde zunächst mit Knechten und Tagelöhnern bewältigt und später, als die Söhne heranwuchsen, ohne fremde Hilfe. Ihr Taschengeld mussten Martin, Johann und Cornils nach Feierabend mit der einträglichen Schafhaltung erarbeiten.
    Dennoch war Johann Thode kein Despot, der seine Familie drangsalierte. Er schenkte den Söhnen zu gegebenen Anlässe wie an Geburtstagen silberne Taschenuhren, geizte auch nicht mit modisch-eleganter Sonntagskleidung, wie einige erhaltene Fotos von Timm, aufgenommen in einem Atelier, zeigen. Und dass die Eltern wenige Stunden vor der Tragödie mit den eng befreundeten Nachbarn Jakob und Hanne Schwarzkopf einen Beidenflether Hofbesitzer besuchten und dort standesgemäß mit einer Kutsche vorfuhren, beweist, dass Johann Thode durchaus die Geselligkeit im Kreise Gleichrangiger pflegte, während die Söhne an Wochenenden den Dorfkrug oder die Kegelbahn aufsuchten.
    Den Status quo eines Familienbetriebes suchte er mit eiserner Hand zu erhalten, wie seine Reaktion auf die Schwängerung eines Dienstmädchens durch den Sohn Johann zeigte. Sie wurde entlassen, und der Hofbesitzer beglich den entstandenen „Schaden“. Dass bei der Verhandlung über die Summe ein Itzehoer Notar, aber der Vater des ungeborenen Kindes nicht zugegen war, wirft ein bezeichnendes Licht auf die autarke Stellung, die Johann Thode in seiner Familie einnahm. Mit harter Arbeit und rigoroser Sparsamkeit, die von seinen Kindern als Geiz empfunden wurde, erwirtschaftete er in 28   Jahren ein Vermögen, von dem er neben seinem schuldenfreien Hof einen weiteren hätte erwerben können.
    Dass Timm, wie Friedrich Rötger bei seinen Erkundungen erfuhr, mit dem Vermögen seiner Eltern prahlte, zeigt sein zwiespältiges Verhältnis zum Vater, der ihn seinerseits mit Verachtung strafte, ihn als einzigen seiner Söhne bereits kurz nach der Konfirmation auf der Beidenflether Mühle unterbrachte und in den folgenden Jahren auf verschiedenen Bauernhöfen bis an die Grenze Hamburgs. Durch eine frühe Krankheit leicht gehbehindert, bis ins Erwachsenenalter Bettnässer, dazu ein Faulpelz, setzte Timm sich ins Unrecht durch kleine Diebstähle und Betrügereien, die nach heutiger Einschätzung eine kriminelle Energie nicht erkennen lassen. Denn er versuchte lediglich durch Kleinkriminalität mit den Einkünften der Brüder aus ihrer Schafhaltung mitzuhalten.
    Sein erstes Verbrechen, die Brandstiftung in Krummendiek, beging er nicht aus Habgier, auch nicht aus Hass auf den Müllermeister, sondern, wie aus einer Vernehmung hervorgeht, aus Heimweh. Wusste er doch, dass der Vater ihn abweisen würde, hätte er ohne plausiblen Grund nach zwei Wochen die Arbeitsstätte verlassen. Die Tat war also anders motiviert als seine späteren Verbrechen, trägt allerdings schon Züge der Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
    Das führt zum Kern des letztlich ungelösten Rätsels um den Massenmord in Groß Kampen und schließt zwei Verdachtsmomente aus: Der Unterdrückte, Verachtete, Ausgeschlossene, der in einem Rausch aus Wut, Hass und Rachsucht
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