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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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Haftstrafen bedrohte Anweisung, dem Thode nicht die geringste Fluchtmöglichkeit zu bieten und ihn unversehrt zum Zielort zu bringen.
    Gegen fünf erreichen sie das Elbestädtchen. Im Zuchthaus wird Timm eine Einzelzelle zugewiesen, die ihm im Vergleich zu seiner kargen Unterkunft in Itzehoe feudal erscheint. Auch werden ihm sofort Hand- und Fußfesseln abgenommen, und man bietet ihm ein kräftiges Frühstück an. Dass vor der Zellentür sowie auf dem Hof vor seinem Fenster je zwei Soldaten Wache halten, bemerkt er nicht.
    Sein Verdrängungsmechanismus hilft Timm auch, den nächsten Tag gelassen durchzustehen, zumal ihn Tietjens mit Lektüre versorgt, ihm sogar die Glückstädter Fortuna zukommen lässt. Und als ihm um 17   Uhr Kreisrichter Rave, von Giehlow zum Leiter der Execution bestellt, mitteilt, die Hinrichtung werde am nächsten Morgen um sechs Uhr dreißig erfolgen, entgegnet er trocken: „Also noch zwölfeinhalb Stunden.“
    Jakob Schwarzkopf und sein Sohn betreten gegen 19   Uhr die Zelle, nachdem ein Hauptwachtmeister sorgfältig die Besuchserlaubnis geprüft und einen Wärter zur Begleitung beordert hat.
    Johannes, der zwei Tage Sonderurlaub vom Militärdienst erbeten und erhalten hat, blickt Timm ernst in die Augen. Drückt ihm stumm die Hand. Er verspürt keinen Hass, obschon ihn Timms Verbrechen über Monate hinweg vor Schmerz fast den Verstand raubten. Und Timm flüstert: „Dank di, Hannes, dat du kamen büst. Dor hett mi veel an leegen. Dat makt allens lichter för mi.“
    Als aber Jakob Schwarzkopf, der Wohltäter, Beschützer und väterliche Freund, ihn umarmt, unfähig, ein Wort zu sprechen, schluchzt Timm nur: „Och, Ungel Joggob.“
    Wortlos verlässt der alte Bauer die Zelle. Erst auf dem grauen, hochgewölbten Korridor mit den vielen Eisentüren spürt er seine Tränen.
    Draußen heben Wärter einen schlichten Kiefernsarg vom Wagen. Jakob und Johannes Schwarzkopf haben ihn am Vormittag gezimmert. Marten Krey, Timms Großvater, bat sie darum, nachdem er erfuhr, dass hier seit jeher Selbstmörder und Hingerichtete ohne Sarg und Trauerfeier in einer Ecke des Gefängnisgartens anonym verscharrt werden.
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    13.   Mai, 6   Uhr. Zu fünft betreten sie die Zelle, Kreisrichter Rave, Anstaltsleiter Plambeck, Propst Versmann, zwei Uniformierte. Gut geschlafen habe er, bis gegen vier, antwortet Timm auf Raves Frage nach seinem Befinden. Ein reichliches Frühstück sei ihm angeboten worden. Eier mit Speck, Bratkartoffeln, Rosinenkuchen. Ihm habe aber ein Butterbrot gereicht und ein Pott Kaffee.
    Die Blässe in seinem Gesicht? Die bedeute nichts. Schließlich sei er seit dem Urteil durchgehend eingesperrt gewesen. Ohne Hofgang, ohne einen Sonnenstrahl.
    „Sind Sie bereit?“ Timm nickt. Die Soldaten nehmen ihn in die Mitte, der Executionsleiter geht voran, der Seelsorger und der Zuchthausinspector folgen.
    Vor der Tür schließen sich Rudolf Tietjens, Polizeidiener Hübner und Assessor Bünz, der Protokollführer, der Gruppe an. Unter dem dünnen Gebimmel der Arme-Leute-Glocke geht Timm, aufrecht und sicheren Schrittes, seinen letzten Weg.
    Blauer Himmel. Vogelgezwitscher. Nimmt er den himmlischen Maimorgen wahr? Die sanfte Morgenkühle, den Blütenduft aus dem benachbarten Anstaltsgarten?
    Sein Blick ist starr gerichtet auf den mächtigen Holzblock, den die Helfer des Scharfrichters in der Hofmitte einige Zentimeter tief eingegraben und mit Pflastersteinen befestigt haben. Daneben der offene Sarg.
    Im Halbkreis zwölf dunkel gekleidete Männer mit unbehaglichen Mienen. Ehrenhafte Glückstädter Bürger, vom Stadtpräsidenten v. Graba auf Giehlows Anordnung als Zeugen ausgewählt und bestellt. Militär sichert die Ausgänge und schirmt eine Fensterreihe vor neugierigen Ausblicken ab. Verteidiger Borstel und Oberstaatsanwalt Giehlow glänzen durch Abwesenheit.
    Das Totenglöcklein klingt aus. Rave verliest das Urteil des Schwurgerichtshofes, danach die Königliche Bestätigung. Er blickt Timm an: „Haben Sie noch etwas zu sagen?“
    „Wat ik dahn heff, dat weet ik. Ik heff de Wohrheit seggt.“ Seltsam banal, Timms letzte Worte. Sie lassen über den Tod hinaus das Rätselhafte seines Wesens im Dunkeln.
    „Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes!“ Rave nickt Reindel zu, der, sekundiert von den drei Gehilfen, hinter dem Block steht, in der Rechten das Richtbeil mit der riesigen, messerscharfen Klinge und dem kurzen Stiel.
    Ein Seitenblick des Scharfrichters, und einer der Gehilfen geht auf Timm
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